Theater als Kritik

THEATER ALS KRITIK

13. Kongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, Frankfurt und Gießen, 3.-6. November 2016

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Veranstalter: Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen (Prof. Dr. Gerald Siegmund), sowie Professur für Theaterwissenschaft am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt am Main (Prof. Dr. Nikolaus Müller-Schöll), in Kooperation mit der Hessischen Theaterakademie (HTA), dem Frankfurt LAB und dem Künstlerhaus Mousonturm.

Der 13. Kongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft lädt unter dem Titel „Theater als Kritik“ dazu ein, Theater als eine kritische Praktik im doppelten Sinne zu untersuchen: Vor dem Hintergrund der Krise klassischer Begründungen des Theaters wie der Kritik sollen deren Geschichte, Theorie und Fragen neu beleuchtet werden. Nicht also die Gegenstände der Kritik des Theaters stehen zur Debatte, sondern vielmehr diese Kritik selbst. Plenarvorträge und kürzere Beiträge zu acht Themenbereichen werden dabei durch performative Formate, Theaterbesuche, Gespräche und szenische Beiträge von Studierenden der Hessischen Theaterakademie (HTA) ergänzt.

Zu den wiederkehrenden Denkfiguren im Diskurs des abendländischen Theaters gehört es, dass dieses, speziell dort, wo es sich mit Aspekten des Politischen, aber auch mit sozialen Praktiken und der Überlieferung befasst, als kritische Auseinandersetzung mit dem Bestehenden anzusehen sei. In dieser Auseinandersetzung kann Theater als Revision der an anderer Stelle gefällten Entscheidungen fungieren, als Verhandlung der in ihm aufgegriffenen Mythen, geschichtlichen Ereignisse und Vorgänge bzw. als szenische Artikulation eines Es soll anders sein (Adorno) – noch dort, wo keine wie auch immer geartete Lösung zu der als alternativlos angesehenen dargestellten in Aussicht gestellt wird. Zu dieser Ansicht trugen gleichermaßen die dem Theater feindlich gesinnten Philosophen,Kirchenfürsten, Dogmatiker und Tugendwächter bei, die die subversive Kraft der Bühne fürchteten, das Theater zu verbieten und seine Macher zu verteufeln suchten, wie auch die das Theater verteidigenden Fürsprecher, die in ihm ein Mittel zur Kritik persönlicher wie gesellschaftlicher Verfehlungen sahen, eine Institution zur Erschütterung der an anderer Stelle errichteten Autoritäten, zur Kritik unhaltbarer ideologischer Positionen, zur Auflösung von Ordnungsmustern und Doktrinen jedweder Art. Theater, so ein bis in die jüngste Zeit von jenen, die es machen, wie von jenen, die es kommentieren, geteilter Common Sense, ist eine kritische Praktik.

Dieser Common Sense ist in der jüngsten Zeit ins Wanken geraten. Er wurde in den vergangenen Jahrzehnten von zwei Warten aus radikal infrage gestellt: Mit Blick auf die in ihm idealisierte Theatervorstellung wie auch hinsichtlich des häufig allzu einfachen Begriffs von Kritik.

– Idealisierend erscheint die Vorstellung von Theater als kritischer Instanz, weil sie einen bestimmten Begriff von Theater verabsolutiert. Sie verschleiert die materiellen Bedingungen von Theater ebenso wie dessen allenfalls indirekt kritische Zwecke der Unterhaltung, der Vergnügung und der heiteren Abendgestaltung. Sie sieht auf der individuellen Ebene ab von der mit Theater häufig verbundenen Befriedigung des eigenen Narzissmus, auf der institutionellen Ebene von den mit ihm verfolgten Zwecken aller Art. Zudem muss sich kritisches Theater, darin dem politischen Theater vergleichbar, die Frage gefallen lassen, ob seine Kritik nicht in aller Regel kaum mehr als ein preaching to the converted ist. Der Hinweis auf die kritische Potenz erscheint als Selbstlegitimation einer Institution, die nicht selten gerade im Modus der Kritik Normen reaffirmiert und verfestigt. Auf der anderen Seite unterminiert gerade das, was Theater als eine autonome Kunst auszeichnet, die mit ihm verfolgten heteronomen Zwecke, zu denen die Kritik zu zählen wäre. So verbirgt sich vielleicht hinter der Vorstellung von Theater als kritischer Praxis tatsächlich ein Spannungsverhältnis, dessen Pole das Theater und die Kritik darstellen.

– Zu einfach erscheint darüber hinaus die landläufige Vorstellung von Theater als Kritik auch mit Blick auf eine darin aufrechterhaltenen Vorstellung von Kritik, die nicht von ungefähr in den vergangenen Jahrzehnten radikal erschüttert worden ist. Zu verweisen wäre hier einerseits auf die von Adorno/Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung unternommene radikale Kritik der überkommenen marxistischen Ideologiekritik, wie sie später von Adorno in seinem vielzitierten Aufsatz „Kulturkritik und Gesellschaft“ aufgegriffen wird. Zum zweiten wäre an Foucaults Genealogie der Kritik aus einer Haltung der Entunterwerfung im Verhältnis zu Formen der Menschenregierungskunst einerseits, seine Zurückweisung jeder fundamentalistischen Kritik andererseits zu erinnern, an die in jüngerer Zeit Judith Butler neuerlich angeknüpft hat. Alle drei fragten nach dem Grund, auf dem die Kritik ruht, sowie nach der Möglichkeit einer postfundamentalistischen Kritik (Butler). Die Erschütterung der Fundamente, für die Kritische Theorie und Poststrukturalismus gleichermaßen stehen, betrifft, wie sie verdeutlichen, nicht zuletzt alle überkommenen Formen einer selbst proto-totalitären Kritik.

In Adornos Aufsatz „Kulturkritik und Gesellschaft“, aus dem zumeist nur der eine, fälschlich zum „Dictum“ verklärte Satz zitiert wird, wonach es barbarisch sei, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben“, wird in der Fortsetzung dieses Satzes darauf hingewiesen, dass „das“ auch die „Erkenntnis“ anfresse, „die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben“. Im nur auf den ersten, flüchtigen Blick überraschenden Einklang mit Heideggers Ausführungen zum Wesen der im 17. Jahrhundert begründeten modernen Technik als eines „Ge-stell(s)“ (Heidegger1991, 32) spricht Adorno davon, dass die „absolute(n) Verdinglichung“, „die den Fortschritt des Geistes als eines ihrer Elemente voraussetzte (…), ihn heute gänzlich aufzusaugen sich anschickt“. (Adorno 1997, 30) Dem sei „der kritische Geist nicht gewachsen, solange er bei sich bleibt in selbstgenügsamer Kontemplation“ (ebd.). An diese „links-kritische Tradition“ knüpften Michel Foucault und Judith Butler an, als sie der Kritik die „doppelte Aufgabe“ zuwiesen, zu zeigen, „wie Wissen und Macht arbeiten, um eine mehr oder minder systematische Ordnungsweise der Welt mit ihren eigenen ‚Bedingungen der Akzeptabilität eines Systems‘ zu konstituieren, aber auch ‚den Bruchstellen zu folgen, die ihr Entstehen anzeigen‘.“ (Butler 2009, 239)

Per se ist die Kritik eng mit der Aufklärung verbunden. In Anlehnung an Kant definiert Michel Foucault Kritik als „die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden.“ (Foucault 1992, 12) Unter Verwendung seines eigenen Verstandes sich die Frage zu stellen, wie man nicht regiert werden möchte oder genauer: nicht „auf diese Weise und um diesen Preis regiert“ werden möchte (ebd.), heißt, seinen Verstand im Sinne einer Kritik der Verhältnisse zu gebrauchen. Damit versteht Foucault Kritik als Einspruch gegen kirchliche, staatliche und elterliche Gesetze, mithin als ein Ausloten der Grenzen der Regierbarkeit. „Dann ist die Kritik die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit. In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung“ (Foucault 1992, 15). Sofern sich Kritik nun aber in ihrem Widerstand gegen „jedwede Regierung“ auf „universale und unverjährbare Rechte stützen zu können glaubt“, unterliegt sie auch jener Gefahr, die Adorno und Horkheimer beschrieben haben: dass die über ihre eigenen Grenzen unaufgeklärte Rationalität der Aufklärung Gefahr läuft in ihr vermeintliches Gegenteil, den Mythos zurückzuverfallen bzw. zu einer instrumentellen Vernunft zu verkommen. Des Weiteren scheint sich Kritik implizit stets zu einer Norm verhalten zu müssen, die sie noch in deren kritischer Aufarbeitung und Aufhebung bewahrt. Damit steht auch die Frage im Raum, welchen Geltungsanspruch Kritik überhaupt haben kann. Steht sie doch stets in einem Spannungsverhältnis zwischen einem Allgemeinen, das Maßstäbe für eine Kritik liefern muss, und dem Partikularen, das jeweils konkret kritisiert wird. Welcher Normativität also hängt Kritik explizit oder implizit an und wie wird diese problematisiert? Neben ihrem Verhältnis zur Normativität geht mit jeder Form der Kritik das Potential einer wie auch immer gearteten Utopie einher. Wer kritisiert, appelliert zumindest implizit an ein Besseres, an ein Anderes, auch wenn es nicht Aufgabe der Kritik ist, allgemeingültige Alternativen oder Lösungsvorschläge zu dem von ihr Kritisierten auszuarbeiten. Doch wie verhindert Kritik, zumal mit Blick auf das Menetekel der in Terror und Katastrophen endenden „großen Erzählungen“ (Lyotard) des 19. Jahrhunderts, den Umschlag der mit ihr einhergehenden, im- oder explizit teleologisch verfassten Entwürfe eines Anderen in den Terror gegen das, was sich dem eigenen Gegenbild widersetzt?

Aus den Spannungsfeldern der Kritik zwischen Norm und deren Entsetzung, Allgemeinem und Besonderem, Utopie und Gegebenem lassen sich im Hinblick auf künstlerische Praktiken und das Theater zentrale Beobachtungen ableiten. Die Frage, die Judith Butler anknüpfend an Foucaults Definition von Kritik stellt, ist die Frage nach der Möglichkeit der „Entunterwerfung“ und damit der Transformation der Verhältnisse. Wie kann durch Kritik eine „Entunterwerfung“ und damit eine „Entsubjektivierung“, insofern Subjektivität ohne Unterwerfung nicht möglich ist, in Gang gesetzt werden? Foucault setzt an die Stelle dieses rätselhaften Agens die „ursprüngliche Freiheit“ des Menschen, die er nicht begründen kann, die ihm aber, so Butler, als Denknotwendigkeit dient, im Inneren des Diskurses ein „Nichtwissen“ (Butler 2009, 243) zu platzieren, das die Verhältnisse und das Subjekt selbst in Bewegung versetzt. Die Freiheit ist eine rein strategische oder gar, wie Foucault sagt, fiktionale Annahme, die dem Subjekt reale Freiräume erspielt. Foucaults Bezeichnung von Kritik als „Kunst“ ist vor dem Hintergrund dieses Gedankengangs mehr als nur eine rhetorische Floskel. Sie zielt vielmehr auf den Kern der Sache: Kritik, die die „Selbstformierung des Subjekts aufs Spiel“ setzt (ebd. 244), ist eine ästhetische Praxis. Als ästhetische Praxis bringt sie hervor, was sie aufs Spiel setzt und setzt aufs Spiel, was sie hervorbringt. Die „natürliche Freiheit“ des Menschen ist seine ästhetische Freiheit. Damit einher geht die Frage, ob Kritik als Praxis in erster Linie eine Frage des Einzelnen ist, des einzelnen Künstlers oder der Künstlerin, die sich in ihren je singulären Theaterentwürfen gegen überlieferte Formen und festgefügte institutionelle Abläufe stellt. Dies involviert im Sinne Butlers eine Ethik der kritischen Praxis, für die der und die Einzelne Verantwortung übernehmen muss.

In diesem Sinne ist auch Theater als Kunst eine kritische, weil entsetzende Praxis. Kritik an den Verhältnissen hängt damit nicht primär ab von einem bestimmten Inhalt, der verhandelt wird, sondern sie liegt in den Existenzweisen des Theaters selbst. Als Aufgabe der aufklärerischen Kritik gilt es mithin, die „Grenzen der Erkenntnis zu erkennen“ (Foucault 1992, 18) und damit die Grenzen von Wissen, Macht und Subjekt. Wie werden die Grenzen der Erkenntnis und des Wissens von diesem selbst herausgefordert? Durch welche Strategien können dessen Konstitutionsbedingungen und Bruchlinien hervorgehoben werden? Welche Rolle spielen dabei affektive, emotionale, körperliche oder idiosynkratische Elemente, welche Rolle spielt die Materialität im Spannungsfeld zur Rationalität der Kritik? Wie sähe eine andere Form der Kritik aus, die nicht ausschließlich der Rationalität des Verstandes anheimgestellt wäre, wie es Kant wollte?

Der doppelten radikalen Befragung der Legitimität von Theater als Kritik steht auf der anderen Seite eine vor allem in den Jahren seit der Jahrtausendwende zunehmend dringlichere Suche nach neuen Formen kritischer Praxis in Theater, Performance und Aktionskunst gegenüber. Hier zeigt sich der Wunsch, sich im Theater nicht lediglich in der Weise einer kontemplativen Verdoppelung zur Realität zu verhalten, sondern Theater auch als kritische Auseinandersetzung mit unhaltbaren Zuständen, Politiken und Normierungen, als Gegenentwurf, Protest, politische Aktion und Utopie zu behaupten. Vor diesem Hintergrund soll der Kongress die Frage diskutieren, wie ohne Vergessen der Aporien klassischer Kritikbegründung und mit Blick auf die Fragwürdigkeit überkommener wie zeitgenössischer Ansätze kritischen Theaters heute die im doppelten Sinne begriffene Kritik des Theaters neu zu begreifen wäre: Wie kritisiert Theater? Welche Art von Kritik wäre mit Blick auf die heutigen Praktiken des Theaters zu formulieren?

Diese Fragen könnten beim Kongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft in verschiedenen Sektionen diskutiert werden. Folgende thematischen Schwerpunkte sind denkbar:

  1. Kritische Praktiken im Gegenwartstheater

Eine große Zahl verschiedener Praktiken gegenwärtigen Theaters sieht sich selbst als kritisch; was wird dabei konkret kritisiert, mit welchen Mitteln, welchem Recht und auf welchem Fundament?

Welche Wirkung oder Wirksamkeit lässt sich beschreiben, welche den Ansprüchen zuwiderlaufende Realität? Wie verhält sich die auf der Ebene der Referentialität artikulierte Kritik zu deren Performanz? Wie sehen die Produktions- und Organisationsformen kritischer Theaterpraktiken aus und in welchem Verhältnis stehen sie zu den auf der Ebene von Inhalt und kritisiertem Objekt vorgebrachten Positionen? Was wird überhaupt kritisiert und aus welcher Perspektive?

  1. Kritik und Normativität

Unterhält Kritik immer auch ein Verhältnis zur Norm, die sie kritisiert, stellt sich die Frage nach der normstabilisierenden Tendenz theatraler Praktiken. Theater wird immer wieder in Krisenzeiten aufgerufen, um Konflikte durch Verhandlung und Darstellung zu entschärfen. Theater hat Ventilfunktion wie im Karneval, es bildet Freiräume des Denkens und Agierens, deren Arbeit jedoch nicht losgelöst zu denken ist von den Institutionen, die sie finanzieren. Theater kann als eine kritische Praxis der Ordnung selbst gedacht werden, die zum einen in Kauf nimmt, dass das ideale Selbstbild dieser Ordnungm angemahnt wird, und zum anderen auch, dass sie sich als Ordnung selbst transformiert, ohne sich jedoch aufgeben zu müssen. In welchem Verhältnis stehen Kritik und Affirmation? Welches Verhältnis unterhält die mit Theater behauptete Subversion zur Stabilisierung und Auflösung bestehender Normen und Ordnungen?

  1. Kritik des Dispositivs des Theaters in Vergangenheit und Gegenwart

Wenn Theater im Sinne Foucaults als Dispositiv begriffen wird, so kann mit Agamben danach gefragt werden, wie an seiner „Profanierung“ und am Hervorbringen der mit ihm ko-originären Unregierbarkeit gearbeitet wurde (Agamben 2006, 34). Wie stellte sich die szenisch-praktische wie theoretische Kritik am eigenen Dispositiv bzw. an dessen Profanierung in entscheidenden Umbruchszeiten des Theaters dar, etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Theaterreformen, in der Weimarer Hofbühne, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im epischen Theater Brechts, in Einar Schleefs chorischen Inszenierungen oder im sogenannten Konzepttanz um die Wende zum 21. Jahrhundert?

  1. Theater als kritische Praxis des Denkens und Agierens

Seit seinen Anfängen wird Theater in der abendländischen Tradition nicht nur im engeren Bezirk des „Theaters“ als kritische Praxis begriffen. Es erscheint, in der Polemik seiner Gegner wie in der Verteidigung seiner Befürworter, zugleich als eine Form kritischer Praxis des Denkens und Agierens selbst. Wie lässt sich diese Kritik, die speziell in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, von einem Denken der Bühne, einem auf das Singuläre hin orientierten Wissen der Künste oder von einem Widerstand der Körper zu sprechen, mit Blick auf Texte wie szenische Praktiken genauer fassen?

  1. Kritik der Kritik

Wenn die Kritik heute selbst einer vielfältigen Kritik unterliegt, so sind davon gleichermaßen das Theater als kritische Praxis im weiteren Sinne wie auch das Postulat einer Kritik im engeren Sinne betroffen. Auch Theaterkritik, die sich zusehends zugunsten flüchtiger Empfehlungen oder nicht minder flüchtiger Verrisse auflöst, ist von der allgemeineren Kritik an der Kritik betroffen. Welche Aporien der Kritik lassen sich in dem kritischen Diskurs über die Kritik ausmachen? Welche Perspektiven eröffnet die Kritik der Kritik für andere verwandte Praktiken, wie sie in den vergangenen Jahren entwickelt wurden – des Widerständigen, der Dekonstruktion, der Verwendung, der Parodie?

  1. Theaterwissenschaft als kritische Praxis

In welcher Hinsicht ließe sich mit dem Theater auch die Theaterwissenschaft als kritische Praxis begründen? Inwiefern kann sie sich auf die Traditionen von kritischer Theorie, Frankfurter Schule und oder der teils mit dieser konkurrierenden, teils sie fortsetzenden Praxis des französischen und USamerikanischen Denkens – etwa von Foucault, Derrida, Lacan, Nancy, Lacoue-Labarthe oder Butler – stützen? Wie gehen praktische Probleme, Leiderfahrungen, das Wissen um die soziale Vermittlung der eigenen Position wie der betrachteten Gegenstände und Praktiken und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge in eine sich als kritisch begreifende Theaterwissenschaft ein? In welchem Verhältnis steht Theaterwissenschaft als kritische Praxis zu anderen kritischen Praktiken? Welche Fragen stellt sie an andere Formen des Wissens, der Archivierung und Befragung von Theater?

  1. Kritik und Öffentlichkeit im Theater

Als Folge der Aufklärung ist das Üben von Kritik gerade im Theater mit der Herausbildung von Öffentlichkeit und deren Gegenöffentlichkeiten verbunden. In Lessings Hamburgischer Dramaturgie wird dabei exemplarisch vorgeführt, dass Kritik als Konstitution einer neuen Öffentlichkeit immer auch der Herausbildung von Selbstbildern einer Gesellschaftsschicht, ihrer Werten und ihrer Normen dient. Wie lässt sich historisch und aktuell das Verhältnis von Theater, Öffentlichkeit und Macht beschreiben (im Vormärz, im Dritten Reich, im geteilten Deutschland nach 1945)? Welche Öffentlichkeiten werden durch kritische Praktiken anvisiert und gebildet? Welche Normen und Werte kommen dabei ins Spiel? Welche Rolle spielt die journalistische Theaterkritik als Repräsentantin der Öffentlichkeit im Spiel um die Anerkennung theatraler Ästhetiken? Wie sind Aufstieg und Niedergang der Theaterkritik mit dem allgemeinen Strukturwandel der Öffentlichkeiten verbunden?

  1. Theaterfeindlichkeit

Welcher Kritik sieht sich das Theater selbst durch die Geschichte hindurch von Platon über Tertullian, die Jansenisten und Rousseau bis zu Guy Debord und der Performance Art der Gegenwart ausgesetzt? Welche Argumente werden gegen bestimmte theatrale Praktiken in welchem Zusammenhang vorgebracht, etwa gegen historische wie gegen zeitgenössische Theaterformen und Ästhetiken? Wie verhält sich die Kritik des Theaters in der Philosophie zu dem der Theorie selbst inhärenten Theater, zu der von ihr unablösbaren Sprachlichkeit und Inszenierung? In welchem Verhältnis stehen theaterkritische Diskurse der Kirchenväter und der sich auf sie stützenden kirchlichen Kritiker zum theaterkritischen Diskurs des 18. bis 20. Jahrhunderts? Wie verhält sich die Kritik des Spektakels und der Medien zu traditionellen Formen der Kritik des Theaters?

Literatur:
Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max (1971), Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M., Fischer.
Adorno, Theodor W. (1997), „Kulturkritik und Gesellschaft“, in, Theodor W. Adorno, Gesammelte
Schriften. Band 10.1., hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M., Suhrkamp, S.11-30.
Agamben, Giorgio (2006), Was ist ein Dispositiv?, Zürich/Berlin, diaphanes.
Butler, Judith (2009), „Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend“, in: Rahel Jaeggi/Tilo Wesche
(Hg.), Was ist Kritik?, Frankfurt a.M., Suhrkamp.
Foucault, Michel (1992), Was ist Kritik?, Berlin, Merve.
Jaeggi, Rahel / Wesche, Tilo (Hg.)(2009), Was ist Kritik?, Frankfurt a. M., Suhrkamp.
Heidegger, Martin (1991), „Die Frage nach der Technik“, in: ders., Die Technik und die Kehre, 8. Aufl.
Pfullingen, Neske.

 

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