Proszenium, Orchestra und Orchester. Zur Topographie fragiler Theaterorte

efs Chortheater weist als grundsätzliche Befragung des Theaterraums auf ein Paradox hin, das dem europäischen Theater von Beginn an eingeschrieben scheint: Dem Chor als erster Figur des Theaters scheint in diesem kein eigentlicher Ort zuzukommen.Schleefs Arbeit an diesem Paradox soll im folgenden an vier exemplarischen Punkten nachgezeichnet werden: an seiner analytischen Beschreibung der tragischen Bühne als Szene ,VOR DEM PALAST‘, an der Fragilität der theatralen Orte in der Inszenierung Ein Sportstück, an der Definition des Orchesters als Chor in der Inszenierung Der Golem in Bayreuth und an Schleefs Wagner-Rezeption und dem Problem des Orchestergrabens.

2. Elektra ,VOR DEM PALAST‘ – Die Gründung des Proszeniums

Das antike Theater gründet in einem doppelten Raum-Problem: Zum einen ist das Proszenium als Ort des tragischen Protagonisten ein Un-Ort zwischen Skene und Orchestra, Palast und Chor. Die Tragödie zeigt den leidenden Protagonisten im Schwebezustand zwischen diesen beiden Orten, von denen er durch die Geschichte, die verlautbart wird, unwiderruflich getrennt ist. Der Ort, an dem dieses Getrenntsein sich mitteilt und erfahrbar wird, ist das Proszenium, das Schleef in seinem Essay Droge Faust Parsifal mit der Angabe ,VOR DEM PALAST‘ bezeichnet. Das zweite Problem ist das räumliche Verhältnis zwischen Chor und Protagonist – und damit auch zwischen Chor und Palast/Skene. Indem die Szene ,VOR DEM PALAST‘ sich zwischen Palast und Chorraum schiebt, kann das Proszenium auch als Barriere zwischen Orchestra und Skene aufgefaßt werden. Das heißt nicht nur der auf der tragischen Szene ausgesetzte Protagonist entfernt sich durch sein Hervortreten vom Zentrum der Macht, auch der Chor wird durch die Errichtung des Proszeniums von dem Palast abgeschnitten, als dessen ,eigentlichen Bauherren‘ ihn Schleef beschreibt. [1]
,VOR DEM PALAST‘ tritt nicht nur die grundlegende Spaltung zwischen Chor und Protagonist, Protagonist und Palast hervor. Indem die Orchestra nach der Errichtung des Proszeniums nicht mehr gemeinsamer Auftrittsort von Chor und Schauspieler ist, zeigt sich, daß auch die Herkunft der Chor-Figur eine andere ist. Schleef schreibt, sie gehöre eher zur „Bühnenlandschaft“, sie sei vielmehr selbst Landschaft. Doch diese Landschaft in ihrer „ursprünglichen, heilenden Bedeutung“ [2] so Schleef, als Ort, an dem „sich das Individuum von seinen Schmerzen lösen könnte“[3], scheint in den Tragödien allenfalls im Konjunktiv auf. Die Landschaft, aus der der Chor hier kommt, um vor den Toren des Palasts zu klagen, ist keine unzerstörte Idylle. Grund der Versammlung des Chors vor dem Palast – im Theater, in der Orchestra – ist in den antiken Tragödien stets eine existentielle Bedrohung: Krieg, Terror, Rechtsbruch. Politischer Grund des Auftritts der Chor-Figur auf dem Theater ist es, diese Situation zu veröffentlichen, auf dem Theater zu verhandeln. Meist gibt es keine Lösung des Konflikts, zumindest keine friedliche, das heißt: keine Lösung ohne Opfer. Davon sprechen die Tragödien, in denen, so Schleef, noch das Menschenopfer erinnert werde. [4] Droge Faust Parsifal definiert die Bühne der antiken Tragödie als Szene ,VOR DEM PALAST‘:

VOR DEM PALAST, das ist die antike Konstellation, das ist das antike Bühnenbild, das ist die Voraussetzung für den Individualisierungsprozeß, das ist das Zeichen für das bevorstehende Opfer, das ist das Zeichen für die Entzweiung der Figuren, der Menschen untereinander. [5]

Die paradigmatische Figur, an der Schleef die ,antike Konstellation‘ als Szene ,VOR DEM PALAST‘ beschreibt, ist Elektra. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind der zweite Teil der Orestie Die Choephoren / Die Grabspenderinnen sowie die sophokleische Elektra. Aischylos’ Stück hat einen wesentlich höheren Chor-Anteil, worauf schon der Titel schließen läßt, während Sophokles Elektra im eigentlichen Sinn aufs Proszenium stellt, indem er die Szene ,VOR DEM PALAST‘ definiert. Da Droge Faust Parsifal die unterschiedlichen theatralen Versionen des Elektra-Stoffs vermischt, sollen diese hier im Hinblick auf das Verhältnis von Chor und Protagonist kurz skizziert werden.
Nach der Ermordung Agamemnons durch Klytämnestra und Aigisth verweigert Elektra ein einvernehmliches Leben mit den neuen Machthabern, den Mördern ihres Vaters. Plötzlich kommt Orest, der von der Mutter verbannte Bruder Elektras, zurück nach Mykene. Unter Strafandrohung bei Unterlassung hat er, so Aischylos, von Apoll den Auftrag bekommen, den Vatermord zu rächen. Die Szene beginnt in den Choephoren am Grab Agamemnons, wo der Chor die Wiederherstellung der genealogischen Ordnung und die Beendigung der unrechtmäßigen, tyrannischen Herrschaft Aigisths fordert. Gemeinsam bitten Chor, Elektra und Orest die chtonischen (Erd-)Götter um Unterstützung bei der Ausführung der Rache. In der Mitte des Stücks wechselt der Schauplatz vom Grabhügel zum Palast. Orest gelangt mittels einer List in den Palast und führt den Rachemord durch. Elektra tritt nicht mehr auf.
In Sophokles’ Elektra hingegen ist sie die ganze Zeit auf der Bühne, das heißt ,VOR DEM PALAST‘, in den sie es ablehnt zurückzukehren.

Doch nein! nie werd ich für die künftige Zeit
Im Haus mit denen leben, sondern hier am Tor,
Dahingesunken, möge ohne Freund
Das Leben mir verdorren! [6]

Sophokles’ Elektra ist es, die den Ort ,VOR DEM PALAST‘ benennt, den sie während des ganzen Stückes nicht verläßt. Im Gegensatz zu den Choephoren ist es hier auch Elektra, die Orest verstärkt zur Rachetat antreibt. Der Chor drängt nicht auf Wiederherstellung der legitimen väterlichen Ordnung, sondern hält Elektra zur Mäßigung an. Bei Aischylos wie bei Sophokles ist Elektra eine gekrümmte Figur, sie behält die am Grab des Vaters eingenommene Haltung bei. Ihr Ort ist am Boden vor dem Palast, aus dem sie ausgestoßen ist beziehungsweise in den sie sich weigert, wieder einzutreten. Obwohl sie die Tat nicht ausführt, ist Sophokles’ Elektra die große Rachefigur, indem sie Orest zum Mord antreibt, dessen Auftrag nun, anders als in den Choephoren, kein göttlicher mehr ist, sondern ein selbstgegebener. Diese Dimension der Elektra-Figur wird von ihrer ununterbrochenen Präsenz in der Szene bekräftigt, während ihr Drama bei Aischylos mit der Ankunft des Bruders zuende ist.
Elektra bleibe, so Schleef, eine „schwierige Figur“, „wie die Waffe, der das Geschoß fehlt, aber deren Existenz sowohl Schuß als auch Treffer imaginieren läßt.“ [7] (Schleef 1997, S. 266.) Von der „übermächtigen Bindung an die untergegangenen Figuren erdrückt“ [8], gibt Elektra ihren Thronanspruch auf und verharrt am Boden vor den Toren des Palasts. Mit dieser Geste der Unterlassung gründet sie das Proszenium, den Ort ,VOR DEM PALAST‘, als Unort, der sich ex negativodefiniert: Er ist nicht Palast, nicht Landschaft, nicht Orchestra. Dieser Ort, der weder Skene noch Orchestra ist, wird zum Ort der Klage des tragischen Protagonisten, zu dem Ort, der den Konflikt anzeigt und ausspricht.
Mit der Errichtung des Proszeniums auf dem Theater muß der Chor notwendig vom Palast wegrücken. Das Proszenium ist somit nicht nur Auftrittsort des tragischen Protagonisten, sondern auch Barriere zwischen Chor und Palast, Orchestra und Skene. Diese räumliche Trennung von Chorraum und Skene bezeichnet den „Chor-Riß“, als welchen Schleef die irreversible Trennung der Einzelfigur vom Chor beschreibt, deren Tragödie sich „demnach nur im Wechsel mit dem Chor“ abbilden lasse. [9]
Der Chor, einst Zentrum des Theaters, in das er, von außen kommend, feierlich eingezogen ist, findet im Proszenium seine Grenze, die er nicht überschreiten kann. Das Proszenium, das in der Folge immer größer wird und schließlich die Bühne ganz einnimmt, steht mehr und mehr gegen die Orchestra, die immer kleiner wird und letztlich ganz aus dem Theater verschwindet – wie der Chor.

3. ,Unter dem Eindruck der Tragödie‘ – Ein Sportstück

In der Uraufführung von Elfriede Jelineks Sportstück, 1998 am Burgtheater, gibt es keinen Palast und keine Orchestra. Dem korrespondiert die grundsätzliche Abwesenheit protagonistischer Figuren. Die Bühne ist zumeist in rampenparallele, beleuchtete und nicht-beleuchtete Streifen eingeteilt, was die Fragilität der Auftrittsorte sowie den Status der Figuren kennzeichnet. Die Orte des Chors sowie der einzeln auftretenden Figuren werden mittels Licht hergestellt. So erinnert der erleuchtete Teil der Vorderbühne bis zur Bühnenkante an die im Theater nicht vorhandene Orchestra, und für den Auftritt der Einzelfigur markiert ein parallel zur Rampe verlaufender Lichtsteg unter dem Eisernen Vorhang das Proszenium.
Als Figur der Frage, dem Publikum direkt zugewandt, tritt der große Chor in der von Schleef sogenannten ,mäßigen Chorkleidung‘ (Hier: bodenlange, weite schwarze Kutten, die nur Gesicht und Hände der Chormitglieder zu sehen geben.) an die Bühnenrampe. Dieser Ort ist in der Inszenierung als expliziter Ort des sprechenden Chors markiert, in dem er, hell erleuchtet und halbrund mit der Kante der Vorderbühne abschließend, auf das Fehlen einer Orchestra, eines Chorraums im Theater, aufmerksam macht. Hier tritt in der Inszenierung der sowohl inhaltlich wie auch klanglich vielfältigste Chor auf. Diesem ersten Auftritt des Chores geht die lange Rede einer Frauenfigur voraus, eine Ansprache der Mutter an den abwesenden Sohn, der Opfer des von ihm betriebenen Leistungssports werden wird. Daß diese Figur keine tragische Protagonistin ist, sondern allenfalls „unter dem Eindruck der Tragödie“ [7] steht, wie es in Ein Sportstück heißt, verdeutlicht die Bühnenbeleuchtung: Das Proszenium, markiert durch den Lichtstreifen, kann jederzeit verschwinden. An diesem fragilen Ort hält die Mutter ihre Anklage – an den Sohn, der sie verlassen hat, an den Sport, der ihr den Sohn geraubt hat. Nach ihrer Ansprache pfeift sie zum Wettkampf, worauf 47 Chormitglieder an der Frau vorbei bis zur Rampe laufen, wo sie dicht aneinander gedrängt stehen bleiben. Der gesamte Bühnenboden ist jetzt wieder in das schon beschriebene Lichtmuster eingeteilt. Der Teil der Vorderbühne, auf dem der Chor steht, ist hell erleuchtet. Der Lichtstreifen auf der Höhe des Eisernen Vorhangs, wo die Mutter steht, ist nunmehr ein Lichtstreifen unter vielen, womit das vorherige Proszenium verschwunden ist.
Schleefs Sportstück-Inszenierung konfrontiert zwei Szenen aus Hugo von Hofmannsthals Elektra mit Jelineks Figur der Elfie Elektra, die als Chor und jenseits der Sichtbarkeit auftritt. Elfie Elektra aus Jelineks Sportstück ist keine protagonistische Figur. Ihre „Programmversionen“ hat sie sich „angelesen wie ein Dieb“ [8], heißt es im Stück. Aus ihr spricht nicht nur die Elektra-Figur, die die Lücke in der Genealogie beklagt und Rache für den Vatermord ankündigt, sondern ebenso die Stimmen derjenigen, die mit den Toten nichts zu tun haben wollen. Ihre Rede ist in sich vielstimmig, das heißt, sie verweist nicht auf die Fiktion einer personalen Figur, die mit einer einheitlichen, in sich konsistenten Stimme sprechen würde. Im Gegensatz zur Figur der Elektra, die, obwohl Besiegte, wie alle Elektra-Versionen bis zu Hofmannsthal zeigen, die Schichten ihres Besiegtseins vergessen machend, als Figur der Rache auftritt, hat Elfie Elektra an Kraft verloren. Der Entschluß zum „Krieg gegen Mama“ [9] wird als Haltung nicht durchgeführt. Von dieser Unterlassung spricht der Text des Elfie-Elektra-Chores, der Klage, Anklage, Selbstanklage, aber nicht Racheankündigung ist. ( „Ihre Pfeile sind verschossen, ohne daß auch nur einer getroffen hätte“, heißt es entsprechend im Text des Matrosen-Chores [10] .) Elfie Elektra, die die Elektra-Geschichte mit sich trägt, aber eine längst Besiegte ist, ist als Figur nicht an Sichtbarkeit geknüpft. Dieser Figur entspricht im Bühnenraum kein noch so prekäres Proszenium. In der Inszenierung tritt Elfie Elektra als nur akustisch vernehmbare Chor-Figur auf der nicht einsehbaren Hinterbühne auf.
Der Chor der Matrosen – in Jelineks Text „Der Taucher“ [11] –, der sich als Elfie Elektras Bruder zu erkennen gibt, ist im Gegensatz dazu extrem in der Sichtbarkeit organisiert. Aus der Unterbühne kommend beendet der Matrosen-Chor, diese vielgestaltige Wiedergänger-Figur des Orest, eine Szene zwischen Elektra und Chrysothemis aus Hofmannsthals Stück. Auf die falsche Nachricht von Orests Tod beschließt Elektra, den Rachemord notfalls auch alleine auszuführen. Die Körper der Matrosen, von der Unterbühne beleuchtet, werfen bereits riesige Schatten an die Brandmauer. Schließlich beginnt der Matrosenchor, die beiden Schwestern übertönend, zu sprechen. Diese brutale Beendigung der Elektra-Szene spiegelt sich im Text der Matrosen, der von der umfassenden Besiegtheit der Elektra-Figur spricht. Die Vorderbühne wird bis zur Rampe hell erleuchtet, und die Riege der Matrosen nimmt den bis dahin leeren Ort an der Bühnenkante ein, der die Orchestra erinnert.
Nach Ende ihres Textes marschieren die Matrosen zu dem Ort auf der Bühne zurück, an dem sie zuvor ‚aufgetaucht‘ sind. Während der ganzen Zeit, in der der nicht-sichtbare Elfie-Elektra-Chor spricht, bleibt der Matrosen-Chor als Schattenfigur dort stehen. Die stimmliche Präsenz des Elfie-Elektra-Chores, der nicht sichtbar ist, beherrscht nun die Szene. Der Merkwürdigkeit der leeren Vorderbühne während der Elfie-Elektra-Rede entspricht der schweigende Matrosen-Chor, der in der Position des Zuhörers erstarrt ist. Während er als Schattenfigur, die nicht abtreten kann, auf der Bühne steht, beherrscht der nicht zu sehende Elfie-Elektra-Chor, der klanglich viel variantenreicher ist als der Matrosen-Chor, die Szene auf ganz andere Weise. Indem diese Szene auf der visuellen Ebene stillsteht, wird der Theaterraum hier in erster Linie Klangraum. Darüber hinaus verstärkt das chorische Sprechen Elfie Elektras, indem es sich dem Auge entzieht, den Umstand, daß der Chor viel mehr mit dem Gehörtwerden verknüpft ist als mit dem Auftreten im Feld der Sichtbarkeit.

4. Theaterraum als Chorraum und Orchester als Chor – Der Golem in Bayreuth

1999 inszeniert Schleef am Burgtheater das ,Musiktheaterspiel‘Der Golem in Bayreuth von Ulla Berkéwicz. Das Stück verbindet die Legende des Golem, einer verlebendigten Figur aus Lehm, die Rabbi Löw gemäß der Kabbala um 1600 in Prag geschaffen haben soll, mit Wagners Version des Parzival-Mythos, die 1882 im Bayreuther Festspielhaus als „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal zur Uraufführung kam. Auf der Textebene wird eine Linie von der in einem Akt der Hybris geschaffenen Figur des Golem zu den ,denkenden Maschinen‘ und perfekten Körpern behauptet, an deren Vision zeitgenössische Kybernetiker und Gentechniker arbeiten. Doch die von Menschenhand geschaffenen, seelenlosen Geschöpfe, so die These des Stücks, sind nur scheinbar kontrollierbar und haben längst begonnen, ihrerseits den Menschen zu beherrschen.
Als ,Stück im Stück‘ ist in Golem die Aufführung des Parsifal szenischer Anlaß der Versammlung der Bayreuther Festspielgesellschaft. Das Festspielhaus wird jedoch von einer Gruppe gewalttätiger Jugendlicher besetzt, die drohen, das Theater abzubrennen. In dieser vom Stücktext vage als neonazistisch skizzierten Gruppierung der ,Haßkappen‘ scheint sowohl die Angstfigur des Golem wiederzukehren wie auch Parsifal, der vorgeblich ,reine Tor‘. Parsifal selbst, musikalisch extrem anwesend in der Inszenierung, tritt als Protagonist nicht mehr auf. Das Stück zeichnet sich überhaupt durch die strukturelle Abwesenheit protagonistischer Figuren aus. Als einzige Einzelfigur hat der Golem keine Sprechstimme. Zwar wird er, wie die Legende sagt, mittels eines ihm in die Stirn gesteckten Zettels, auf dem der unaussprechliche Name Gottes steht, zum Leben erweckt. Paradoxer Weise bleibt er jedoch eine sprachlose Figur. Der Golem scheint allenfalls in der vielstimmigen Wiedergänger-Figur der Haßkappen zur Sprache zu kommen, mit der er sich nach und nach verbündet.
Bereits der Stücktext etabliert also eine grundsätzlich chorische Struktur. So ragen zwar einzelne Stimmen punktuell aus den chorischen Zusammenhängen heraus, treten jedoch nicht von diesen losgelöst auf. Schleefs Inszenierung greift diese chorische Struktur auf und radikalisiert sie in mehrfacher Hinsicht. Mit der Verabschiedung des Protagonisten bleibt als einzige theatrale Form die Chor-Szene, was sich nicht zuletzt auf die Behandlung des Theaterraums auswirkt.
Einar Schleefs Golem-Inszenierung ist auch und vor allem eine grundsätzliche Befragung des Theaterraums in Hinblick auf einen Ort des Chors im Theater. Die große Frage, die sich gerade angesichts dieser durchgängig chorischen Inszenierung stellt, ist, ob es überhaupt einen Ort des Chors im Theater gibt. Da Golem ein Musical ist, muß die Frage gestellt werden, wie sich das Orchester zum Chor positioniert. Welche Stellung nimmt das Orchester in einem Theater ohne Chorraum und ohne Orchestergraben ein?
Von Beginn an ist die Inszenierung durch den gleichzeitigen Auftritt verschiedener Chöre gekennzeichnet. Nach dem Einlaß tritt Einar Schleef als Stadtrat von Bayreuth in den Zuschauerraum, der wie die Bühne hell erleuchtet ist. Der Stadtrat erklärt dem Publikum die Bedrohung von Seiten der Haßkappen, die auf den Straßen einen Bürgerkrieg führen und dem Theater immer näher rücken. „Trotzdem“, so der Stadtrat, „der Aufführung des Parsifal heute wünschen wir gutes Gelingen“. [12]Der Chor der Festspielgesellschaft tritt an die Bühnenkante, und es beginnt ein elegischer, kakophonischer Gesang. Dieser Chor, der hier die Festspielgesellschaft vor der Aufführung des Parsifaldarstellt, wird sich später zum Orchester formieren. Das Orchester ist so bereits als Mitspieler und das heißt: als Chor definiert. Plötzlich stürmt eine Gruppe schwarz gekleideter, mit Schlagstöcken bewaffneter Männer und Frauen durch den Zuschauerraum bis zur Bühnenrampe. Der Stadtrat schreit in die beiden gleichzeitigen Chöre hinein: „Wogegen protestieren Sie? Was wollen Sie?“ [13], wird aber von Pfiffen und „Bier“-Rufen der Haßkappen übertönt. Die Streitszene zwischen Stadtrat und Haßkappen findet inmitten des Publikums statt, dessen Ort von diesem Konflikt durchzogen beziehungsweise gespalten wird. Räumlich eingefaßt wird das Publikum und mit ihm die Szene des Konflikts von der jetzt schweigenden Chorriege auf der Bühne und den an die Parsifal-Aufführung erinnernden Blechbläsern auf dem Rang, die das ,Verwandlungsmotiv‘ aus Parsifal intonieren. Den fiktiven Ort des Gasthauses gibt es in der Inszenierung nicht, alles findet im Theater statt. So wird die Konfrontation der verschiedenen Gruppen in der Inszenierung nicht nur theatralisiert, sondern auch verschärft: durch das Gegenüber von der Festspielgesellschaft als Chor auf der Bühne und den Haßkappen als Gegenchor im Parkett, aber auch weil sich alles in einem Raum und mitten unter den Zuschauern abspielt, die durch die Ansprache des Stadtrats von Bayreuth und die räumliche Anordnung gleichsam zu Mitgliedern der Festspielgesellschaft geworden sind. Das Theater als realer Ort der Zusammenkunft wird somit zum Verhandlungsraum, in dem das, was auf dem Theater stattfindet, zuallererst verhandelt werden muß.
Eine weitere konfrontative Szene, in der verschiedene Chöre gegeneinander antreten, gibt es gegen Ende der Aufführung: Die Haßkappen postieren sich an der Bühnenrückwand und wiederholen ihre eingangs vom Stadtrat zitierte Kriegserklärung gegen Stadt, Staat und Festspielhaus. Die Szene spielt bei minimaler Beleuchtung, wie überhaupt weite Teile der Inszenierung, die sich dadurch vor allem als ein Theater der Stimmen kennzeichnet. Einzige Lichtquelle ist hier ein in der Mitte der Bühnenrampe lokalisierter Scheinwerfer. Man sieht den übergroßen Schatten des Golem und die unheimliche schwarze Riege der Haßkappen als Schattenfiguren. „Das Festspielhaus brennt“ [14] , skandieren sie und schlagen in einem vom Chorführer angegebenen Takt mit ihren Schlagstöcken auf den Bühnenboden. Die Bedrohlichkeit der Szenerie ergibt sich vor allem aus ihrer klanglichen Disposition: Da der Bühnenraum vollständig mit Holz ausgeschlagen ist, läßt das Knallen auf den Bühnenboden den gesamten Theaterraum erschallen. Das ganze Theater wird so auch physisch zum Resonanzraum dieses Chorauftritts, der, obgleich weit von der Bühnenkante entfernt, den ganzen Theaterraum erfaßt, nicht nur auditiv, sondern geradezu körperräumlich.
Währenddessen sind nach und nach alle Chormitglieder des Stücks auf die Vorderbühne getreten, und es haben sich fünf Gruppen gebildet, die man jetzt gleichzeitig hört: Ein Männer- und ein Frauenchor singen abwechselnd „Hojotoho–há“ (Ruf der Walküren in Wagners Ring der Nibelungen.) mit ansteigender Geschwindigkeit, so daß sie sich schließlich überlagern. Ein Kinderchor singt das Lied der Haßkappen („Haß macht Spaß“). Die Haßkappen haben ihre Schlagstöcke weggeworfen und sind mit der Kampfparole „Bayreuth brennt“ ebenfalls an die Bühnenrampe getreten. In diesen Stimmenkampf der verschiedenen Chorgruppen hinein erklingt wieder das bereits erwähnte Fanfaren-Motiv aus Parsifal. Nach dieser Szene, die von mehreren Auftritten der untoten Kundry-Figur unterbrochen wird, vereinen sich alle Chöre zu einem und singen das ,Gralsmotiv‘, während die Fanfaren wiederum das ,Liebesmotiv‘ spielen. Dies ist zum einen eine klangliche Radikalisierung, da sämtliche Chormitglieder an der Bühnenrampe stehen und ihre Stimmen das ganze Theater erfüllen, zum anderen aber auch inhaltlich, insofern es scheint, als würde der große, nunmehr aus allen Darstellern bestehende Chor, der Enthüllung des Grals – die ja hier nicht stattfindet –, nicht beiwohnen – wie die Gralsritter in WagnersParsifal –, sondern sie vielmehr fordern. Diese Haltung des Chores assoziiert die angeschlagene Gralsritterschaft, die zur Stärkung ihrer Gemeinschaft die Wiederaufnahme des Gralsritus fordert, der einzig Unverletzlichkeit und Unsterblichkeit garantieren kann. Wie auch in weiteren Szenen der Inszenierung, die Parsifal zitieren, tritt der Chor hier, im Gegensatz zu Wagner, an die Stelle des Orchesters. Ein Orchester gibt es an dieser Stelle nicht, einzige Instrumentierung dieser Szene ist das Piano. Die Blechbläser (Fanfaren) bilden eine eigene Chorgruppe. Die Übernahme musikalischer Partien durch den Chor in den Parsifal-Szenen geht so weit, daß nicht nur die Gralsritter als Chor in den Vordergrund treten, sondern auch die Stimme des Protagonisten vervielfältigt wird, wenn er zum Schluß seine Machtübernahme mit den Worten besiegelt: „Enthüllet den Gral“. [15] Die bei Wagner darauf folgende chorische Huldigung Parsifals als Erlöser hingegen fällt aus. Kein Gral, keine Substitution der Blutdroge, keine Erlösung.
Wie der Chor in den Parsifal-Zitationen an die Stelle des Orchesters tritt, wird das Orchester in SchleefsGolem-Inszenierung durchgängig als Chor behandelt. Das wird auch in der räumlichen Anordnung deutlich, die der des Chors im Akademietheater gleicht. So umfassen auch die Spielorte des Orchesters den gesamten Theaterraum, indem sie von dem Rang, aus dem die ,Parsifal-Fanfaren‘ ertönen, bis zur Hinterbühne reichen. Das Orchester, derart als Chor behandelt, hat in diesem Theater genau wie der Chor keinen ihm eigenen Ort. Der fehlenden Orchestra korrespondiert in dieser Raumbehandlung die Abwesenheit des Orchestergrabens. Nicht der Bühne, also der Szene gegenüber, vor ihr oder gar unter ihr verborgen, unsichtbar in einen ,mystischen Abgrund‘ (Wagner) versenkt, spielt das Orchester, sondern: auf der Bühne, gegenüber den Zuschauern, sowie auf dem Rang, hinter den Zuschauern, der Bühne gegenüber. In der konsequenten Gleichbehandlung von Orchester und Chor, der räumlichen wie klanglichen Definition des Orchesters als Chor, wird also nicht zuletzt die Problematik eines im Theater nicht vorhandenen Chorraums deutlich.

5. Wagner und Schleef – Die Ersetzung des Chors durch das Orchester und das Problem des Orchestergrabens

In seinen Theaterarbeiten sowie in Droge Faust Parsifal – und hier insbesondere am Parsifal-Thema und seiner möglichen Umsetzung – problematisiert Schleef den Theaterraum immer wieder hinsichtlich des Verschwindens des Chors und der Abwesenheit eines expliziten Chorraums. In Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit Wagner ist zu fragen, inwiefern für Schleef die Positionierung des Orchesters im Musiktheater und insbesondere Wagners Lösung des Orchestergrabens ein Problem darstellt. In welchem Verhältnis stehen Orchester und Chor zueinander? Wie verhalten sich beide zu und in einem Theaterraum, der keinen Chorraum vorsieht? Wie plaziert man das Orchester in einem Theater, das nicht als Hörraum, sondern als reine Schauanlage konzipiert ist?
Wagner löst das Problem der aus den Theaterräumen gestrichenen Orchestra, eines fehlenden Chorraums im Theater praktisch, indem er einen Graben zwischen Bühne und ,Cavea‘ (Wagner) zieht und so das Orchester optisch verschwinden läßt. Theoretisch behauptet er, in Oper und Drama, die vollständige, adäquate Ersetzung des Chors durch das nunmehr unsichtbare, moderne Orchester. Für Schleef stellt der Orchestergraben jedoch keine Lösung des Problems dar, sondern eine Verschärfung. Das Problem der Situierung des Orchesters in den als Schauräumen angelegten Theaterräumen, deren Tradition bis heute wirksam ist, ist auch für Schleef das zentrale Problem des Chorauftritts, die Frage nach einem Ort des Chors im Theater.
In der erstmalig 1852 erschienenen Schrift Oper und Drama formuliert Wagner die theoretische Konzeption seines Musiktheaters in Absetzung von der zeitgenössischen Oper, in der der Chor zum gänzlich inhaltlosen Teil der Theaterapparatur herabgesunken sei und das Orchester mit der Übernahme der Gesangsmelodie nur mehr als Stimmverstärker aufgefaßt werde. Wagner plädiert für die jeweilige Eigenständigkeit von Stimme und Orchester, ,Wortsprache‘ und ,Tonsprache‘, und für die vollständige Abschaffung des herkömmlichen Opernchors. Die Bedeutung des Chors aber ist in Wagners Musiktheaterkonzeption auf das moderne Orchester übergegangen, das jenen fortan ästhetisch ersetzen soll. [16] Der Protagonist, respektive Sänger, sei als ,individuell menschliche Erscheinung‘ des Chors aus der Orchestra hinauf auf die Bühne gestiegen, als eine einzelne Stimme, die aus dem Orchester, dem ehemaligen Chor herausrage. Wagner beschreibt hier die Geburt des Protagonisten aus dem Chor und dessen zukünftige Ersetzung durch das Orchester: Die Orchestra wird zum Orchester. Wagner streicht damit nicht nur den Chor, sondern indem er die (ehemalige) Orchestra als Orchesterraum definiert, wird die Bühne zum alleinigen Darstellungsraum erhoben, als alleiniger Ort der Sichtbarkeit und der Kundgebung der individuellen menschlichen Stimme. Aufgrund dieser hier angedeuteten räumlichen Aufteilung kann das Orchester, wie im Bayreuther Festspielhaus realisiert, im Graben verschwinden. Daß die Unsichtbarmachung des Orchesters aber das theatrale Problem der Beziehung zwischen Graben und Bühne, die problematische Beziehung zwischen Sichtbarkeit und Hörbarkeit im Theater nicht löst, ist ein Punkt, den Einar Schleef in seinen Texten und Theaterarbeiten immer wieder bearbeitet.
Warum also muß das von Wagner als moderner Nachfolger des antiken Chors definierte Orchester aus der Sichtbarkeit verschwinden? Zu welchem Zweck werden sichtbare Sänger von unsichtbarer Musik getrennt? Vor welchem gedanklichen Hintergrund wird der Graben zwischen Bühne und Zuschauerraum installiert?
In seiner Rede zur Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses stellt Wagner das Verhältnis von Bühne und Zuschauerraum unter den Begriff der ,erhabenen Täuschung‘. Diese solle es ermöglichen, von jeglicher zwischen Bühne und Zuschauer gelegenen Realität abzusehen. Daher sieht Wagner sich genötigt, das Orchester unsichtbar zu machen. Aus dieser „Nötigung“ [17] ergibt sich die Abschaffung der Logenränge zugunsten einer ,Cavea‘-Form. Das Orchester als Störfaktor in der visuellen Wahrnehmung der Bild-Szene, als die Wagner die Bühne bestimmt, habe in der Versenkung zu verschwinden. Sein Auftrittsort ist jetzt die Rest-Orchestra, also der ehemalige Chorraum, welcher mit der Erfindung des Orchestergrabens endgültig aus dem sichtbaren Theaterraum gestrichen wird. Die Einrichtung des Orchestergrabens als inhaltlich nicht näher definiertem Zwischenraum zwischen Proszenium und den vorderen Sitzreihen des Publikums feiert Wagner als ,mystischen Abgrund‘, welcher ,Realität‘ und ,Idealität‘ zu trennen habe. Folgt man der Beschreibung dieser räumlichen Anordnung unter dem Gesichtspunkt der in Oper und Drama proklamierten Ersetzung des Chors durch das Orchester, bleibt zunächst die Merkwürdigkeit festzuhalten, daß Wagner den Bau seines Musiktheaters in erster Linie nach optischen Maßgaben einrichtet. Vom Hören ist in seinem Text zur Bayreuther Grundsteinlegung nicht viel die Rede, wenig auch von der Beziehung zwischen Orchester und Bühne. Die wichtigste Funktion des antiken Chors im Theater, die Veröffentlichung der gesprochenen Rede, kann dem in der Versenkung verschwundenen Orchester schwerlich zugeordnet werden. Das „Auseinanderdriften von Sprech- und Musiktheater“ [18], das Schleef konstatiert, die Manifestation der Trennung von Sehen und Hören im Theater, die Wagner nolens volens vorantreibt, sind keine Abstrakta, sondern ganz konkrete Probleme, die sich dem Theater stellen, insbesondere dem Chortheater, das im Kern dieses Problems arbeitet. Die von Wagner angestrebte Ersetzung des Chors durch das unsichtbare Orchester bleibt für Schleef vor allem auch deshalb problematisch, weil Ausgangspunkt der Überlegungen Wagners, wie er selbst in seiner Rede sagt, seine ,Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ ist. Schleef liest mit und gegen Wagners Theaterentwurf, wenn er analysiert: „Musik ist Dämmerung“ [19] . Der Zustand der Dämmerung in Wagners Stücken definiere dessen „Gegenposition zur betonten Zentralperspektive im Bühnenraum“ [20]. Von der szenischen Anlage deutet gerade Wagners „Bühnenweihfestspiel“Parsifal, das in Schleefs Golem-Inszenierung auf mehreren Ebenen zitiert wird, auf das Schwinden des Sehsinns. Keine lichten Gestalten, „schattig und ernst“ ist es im Gralswald. Auch die Gralsburg scheint alles andere als ein Ort der Hellsichtigkeit, und gerade zum Ende hin, zur vorgeblichen Erlösung, wird die Szene immer finsterer. An deren permanenter Verdunkelung scheint Wagner geradezu zu arbeiten, Weiheakt und Tragödie sind im hell erleuchteten Bühnenkasten nicht abzubilden.
Dunkel ist es auch in allen Parsifal-Zitaten in Golem. Die Inszenierung des Golem zeigt Schleefs Wagner-Rezeption auch als Revision, obwohl oder gerade weil er Wagner sehr genau liest. Schleef arbeitet auch hier an den Paradoxien der Theaterentwürfe Wagners: einerseits der vollständigen Ersetzung des antiken Chors durch das moderne Orchester und andererseits dessen Versenkung im Orchestergraben und damit letztlich Abschaffung eines Chorraums im Theater; einerseits die ,gänzliche Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ im Bayreuther Theaterbau und andererseits ständiges Ankämpfen gegen dieselben in der Konzeption der Stücke wie in Bühnenentwürfen; einerseits die Einführung der Arbeitsteilung zwischen Bühne und Orchestergraben und die nicht zuletzt durch das Verschwinden des Chorraums manifestierte Trennung von Sehen und Hören im Theater, und andererseits die vor allem in Oper und Drama formulierten Ideen zu einem synästhetischen Gesamtkunstwerk; letztlich auch das Problem der Gottabwesenheit und auf der anderen Seite der Versuch der Installation einer ,Kunstreligion‘, die ihren Höhepunkt in Parsifal findet, wo alle genannten Paradoxien zusammenzukommen scheinen. Das hier skizzierte Problem des Orchestergrabens ist für ein Theater, das die Arbeitsteilung weiterführt und die Trennung von Sehen und Hören nicht aufhebt, nicht zu lösen. Mit und gegen das große Vorbild Wagner arbeitet Schleefs Chortheater im Zentrum dieses Problems.

[[4] Vgl. ebd., S. 392. [[4]]

Fußnoten    (↵ zurück zum Text)

  1. Vgl. Schleef 1997, S. 266.
  2. Ebd., S. 12.
  3. Ebd., S. 13.
  4. Ebd., S. 265.
  5. Sophokles 1994, V. 817ff.
  6. Jelinek 1998, S. 18.
  7. Ebd., S. 268.
  8. Ebd., S. 8.
  9. inar Schleefs Chortheater weist als grundsätzliche Befragung des Theaterraums auf ein Paradox hin, das dem europäischen Theater von Beginn an eingeschrieben scheint: Dem Chor als erster Figur des Theaters scheint in diesem kein eigentlicher Ort zuzukommen.Schleefs Arbeit an diesem Paradox soll im folgenden an vier exemplarischen Punkten nachgezeichnet werden: an seiner analytischen Beschreibung der tragischen Bühne als Szene ,VOR DEM PALAST‘, an der Fragilität der theatralen Orte in der Inszenierung Ein Sportstück, an der Definition des Orchesters als Chor in der Inszenierung Der Golem in Bayreuth und an Schleefs Wagner-Rezeption und dem Problem des Orchestergrabens.

    2. Elektra ,VOR DEM PALAST‘ – Die Gründung des Proszeniums

    Das antike Theater gründet in einem doppelten Raum-Problem: Zum einen ist das Proszenium als Ort des tragischen Protagonisten ein Un-Ort zwischen Skene und Orchestra, Palast und Chor. Die Tragödie zeigt den leidenden Protagonisten im Schwebezustand zwischen diesen beiden Orten, von denen er durch die Geschichte, die verlautbart wird, unwiderruflich getrennt ist. Der Ort, an dem dieses Getrenntsein sich mitteilt und erfahrbar wird, ist das Proszenium, das Schleef in seinem Essay Droge Faust Parsifal mit der Angabe ,VOR DEM PALAST‘ bezeichnet. Das zweite Problem ist das räumliche Verhältnis zwischen Chor und Protagonist – und damit auch zwischen Chor und Palast/Skene. Indem die Szene ,VOR DEM PALAST‘ sich zwischen Palast und Chorraum schiebt, kann das Proszenium auch als Barriere zwischen Orchestra und Skene aufgefaßt werden. Das heißt nicht nur der auf der tragischen Szene ausgesetzte Protagonist entfernt sich durch sein Hervortreten vom Zentrum der Macht, auch der Chor wird durch die Errichtung des Proszeniums von dem Palast abgeschnitten, als dessen ,eigentlichen Bauherren‘ ihn Schleef beschreibt. [1]
    ,VOR DEM PALAST‘ tritt nicht nur die grundlegende Spaltung zwischen Chor und Protagonist, Protagonist und Palast hervor. Indem die Orchestra nach der Errichtung des Proszeniums nicht mehr gemeinsamer Auftrittsort von Chor und Schauspieler ist, zeigt sich, daß auch die Herkunft der Chor-Figur eine andere ist. Schleef schreibt, sie gehöre eher zur „Bühnenlandschaft“, sie sei vielmehr selbst Landschaft. Doch diese Landschaft in ihrer „ursprünglichen, heilenden Bedeutung“ [2] so Schleef, als Ort, an dem „sich das Individuum von seinen Schmerzen lösen könnte“[3], scheint in den Tragödien allenfalls im Konjunktiv auf. Die Landschaft, aus der der Chor hier kommt, um vor den Toren des Palasts zu klagen, ist keine unzerstörte Idylle. Grund der Versammlung des Chors vor dem Palast – im Theater, in der Orchestra – ist in den antiken Tragödien stets eine existentielle Bedrohung: Krieg, Terror, Rechtsbruch. Politischer Grund des Auftritts der Chor-Figur auf dem Theater ist es, diese Situation zu veröffentlichen, auf dem Theater zu verhandeln. Meist gibt es keine Lösung des Konflikts, zumindest keine friedliche, das heißt: keine Lösung ohne Opfer. Davon sprechen die Tragödien, in denen, so Schleef, noch das Menschenopfer erinnert werde. [4] Droge Faust Parsifal definiert die Bühne der antiken Tragödie als Szene ,VOR DEM PALAST‘:

    VOR DEM PALAST, das ist die antike Konstellation, das ist das antike Bühnenbild, das ist die Voraussetzung für den Individualisierungsprozeß, das ist das Zeichen für das bevorstehende Opfer, das ist das Zeichen für die Entzweiung der Figuren, der Menschen untereinander. [5]

    Die paradigmatische Figur, an der Schleef die ,antike Konstellation‘ als Szene ,VOR DEM PALAST‘ beschreibt, ist Elektra. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind der zweite Teil der Orestie Die Choephoren / Die Grabspenderinnen sowie die sophokleische Elektra. Aischylos’ Stück hat einen wesentlich höheren Chor-Anteil, worauf schon der Titel schließen läßt, während Sophokles Elektra im eigentlichen Sinn aufs Proszenium stellt, indem er die Szene ,VOR DEM PALAST‘ definiert. Da Droge Faust Parsifal die unterschiedlichen theatralen Versionen des Elektra-Stoffs vermischt, sollen diese hier im Hinblick auf das Verhältnis von Chor und Protagonist kurz skizziert werden.
    Nach der Ermordung Agamemnons durch Klytämnestra und Aigisth verweigert Elektra ein einvernehmliches Leben mit den neuen Machthabern, den Mördern ihres Vaters. Plötzlich kommt Orest, der von der Mutter verbannte Bruder Elektras, zurück nach Mykene. Unter Strafandrohung bei Unterlassung hat er, so Aischylos, von Apoll den Auftrag bekommen, den Vatermord zu rächen. Die Szene beginnt in den Choephoren am Grab Agamemnons, wo der Chor die Wiederherstellung der genealogischen Ordnung und die Beendigung der unrechtmäßigen, tyrannischen Herrschaft Aigisths fordert. Gemeinsam bitten Chor, Elektra und Orest die chtonischen (Erd-)Götter um Unterstützung bei der Ausführung der Rache. In der Mitte des Stücks wechselt der Schauplatz vom Grabhügel zum Palast. Orest gelangt mittels einer List in den Palast und führt den Rachemord durch. Elektra tritt nicht mehr auf.
    In Sophokles’ Elektra hingegen ist sie die ganze Zeit auf der Bühne, das heißt ,VOR DEM PALAST‘, in den sie es ablehnt zurückzukehren.

    Doch nein! nie werd ich für die künftige Zeit
    Im Haus mit denen leben, sondern hier am Tor,
    Dahingesunken, möge ohne Freund
    Das Leben mir verdorren! [6]

    Sophokles’ Elektra ist es, die den Ort ,VOR DEM PALAST‘ benennt, den sie während des ganzen Stückes nicht verläßt. Im Gegensatz zu den Choephoren ist es hier auch Elektra, die Orest verstärkt zur Rachetat antreibt. Der Chor drängt nicht auf Wiederherstellung der legitimen väterlichen Ordnung, sondern hält Elektra zur Mäßigung an. Bei Aischylos wie bei Sophokles ist Elektra eine gekrümmte Figur, sie behält die am Grab des Vaters eingenommene Haltung bei. Ihr Ort ist am Boden vor dem Palast, aus dem sie ausgestoßen ist beziehungsweise in den sie sich weigert, wieder einzutreten. Obwohl sie die Tat nicht ausführt, ist Sophokles’ Elektra die große Rachefigur, indem sie Orest zum Mord antreibt, dessen Auftrag nun, anders als in den Choephoren, kein göttlicher mehr ist, sondern ein selbstgegebener. Diese Dimension der Elektra-Figur wird von ihrer ununterbrochenen Präsenz in der Szene bekräftigt, während ihr Drama bei Aischylos mit der Ankunft des Bruders zuende ist.
    Elektra bleibe, so Schleef, eine „schwierige Figur“, „wie die Waffe, der das Geschoß fehlt, aber deren Existenz sowohl Schuß als auch Treffer imaginieren läßt.“ [7] (Schleef 1997, S. 266.) Von der „übermächtigen Bindung an die untergegangenen Figuren erdrückt“ [8], gibt Elektra ihren Thronanspruch auf und verharrt am Boden vor den Toren des Palasts. Mit dieser Geste der Unterlassung gründet sie das Proszenium, den Ort ,VOR DEM PALAST‘, als Unort, der sich ex negativodefiniert: Er ist nicht Palast, nicht Landschaft, nicht Orchestra. Dieser Ort, der weder Skene noch Orchestra ist, wird zum Ort der Klage des tragischen Protagonisten, zu dem Ort, der den Konflikt anzeigt und ausspricht.
    Mit der Errichtung des Proszeniums auf dem Theater muß der Chor notwendig vom Palast wegrücken. Das Proszenium ist somit nicht nur Auftrittsort des tragischen Protagonisten, sondern auch Barriere zwischen Chor und Palast, Orchestra und Skene. Diese räumliche Trennung von Chorraum und Skene bezeichnet den „Chor-Riß“, als welchen Schleef die irreversible Trennung der Einzelfigur vom Chor beschreibt, deren Tragödie sich „demnach nur im Wechsel mit dem Chor“ abbilden lasse. [9]
    Der Chor, einst Zentrum des Theaters, in das er, von außen kommend, feierlich eingezogen ist, findet im Proszenium seine Grenze, die er nicht überschreiten kann. Das Proszenium, das in der Folge immer größer wird und schließlich die Bühne ganz einnimmt, steht mehr und mehr gegen die Orchestra, die immer kleiner wird und letztlich ganz aus dem Theater verschwindet – wie der Chor.

    3. ,Unter dem Eindruck der Tragödie‘ – Ein Sportstück

    In der Uraufführung von Elfriede Jelineks Sportstück, 1998 am Burgtheater, gibt es keinen Palast und keine Orchestra. Dem korrespondiert die grundsätzliche Abwesenheit protagonistischer Figuren. Die Bühne ist zumeist in rampenparallele, beleuchtete und nicht-beleuchtete Streifen eingeteilt, was die Fragilität der Auftrittsorte sowie den Status der Figuren kennzeichnet. Die Orte des Chors sowie der einzeln auftretenden Figuren werden mittels Licht hergestellt. So erinnert der erleuchtete Teil der Vorderbühne bis zur Bühnenkante an die im Theater nicht vorhandene Orchestra, und für den Auftritt der Einzelfigur markiert ein parallel zur Rampe verlaufender Lichtsteg unter dem Eisernen Vorhang das Proszenium.
    Als Figur der Frage, dem Publikum direkt zugewandt, tritt der große Chor in der von Schleef sogenannten ,mäßigen Chorkleidung‘ (Hier: bodenlange, weite schwarze Kutten, die nur Gesicht und Hände der Chormitglieder zu sehen geben.) an die Bühnenrampe. Dieser Ort ist in der Inszenierung als expliziter Ort des sprechenden Chors markiert, in dem er, hell erleuchtet und halbrund mit der Kante der Vorderbühne abschließend, auf das Fehlen einer Orchestra, eines Chorraums im Theater, aufmerksam macht. Hier tritt in der Inszenierung der sowohl inhaltlich wie auch klanglich vielfältigste Chor auf. Diesem ersten Auftritt des Chores geht die lange Rede einer Frauenfigur voraus, eine Ansprache der Mutter an den abwesenden Sohn, der Opfer des von ihm betriebenen Leistungssports werden wird. Daß diese Figur keine tragische Protagonistin ist, sondern allenfalls „unter dem Eindruck der Tragödie“ [7] steht, wie es in Ein Sportstück heißt, verdeutlicht die Bühnenbeleuchtung: Das Proszenium, markiert durch den Lichtstreifen, kann jederzeit verschwinden. An diesem fragilen Ort hält die Mutter ihre Anklage – an den Sohn, der sie verlassen hat, an den Sport, der ihr den Sohn geraubt hat. Nach ihrer Ansprache pfeift sie zum Wettkampf, worauf 47 Chormitglieder an der Frau vorbei bis zur Rampe laufen, wo sie dicht aneinander gedrängt stehen bleiben. Der gesamte Bühnenboden ist jetzt wieder in das schon beschriebene Lichtmuster eingeteilt. Der Teil der Vorderbühne, auf dem der Chor steht, ist hell erleuchtet. Der Lichtstreifen auf der Höhe des Eisernen Vorhangs, wo die Mutter steht, ist nunmehr ein Lichtstreifen unter vielen, womit das vorherige Proszenium verschwunden ist.
    Schleefs Sportstück-Inszenierung konfrontiert zwei Szenen aus Hugo von Hofmannsthals Elektra mit Jelineks Figur der Elfie Elektra, die als Chor und jenseits der Sichtbarkeit auftritt. Elfie Elektra aus Jelineks Sportstück ist keine protagonistische Figur. Ihre „Programmversionen“ hat sie sich „angelesen wie ein Dieb“ [8], heißt es im Stück. Aus ihr spricht nicht nur die Elektra-Figur, die die Lücke in der Genealogie beklagt und Rache für den Vatermord ankündigt, sondern ebenso die Stimmen derjenigen, die mit den Toten nichts zu tun haben wollen. Ihre Rede ist in sich vielstimmig, das heißt, sie verweist nicht auf die Fiktion einer personalen Figur, die mit einer einheitlichen, in sich konsistenten Stimme sprechen würde. Im Gegensatz zur Figur der Elektra, die, obwohl Besiegte, wie alle Elektra-Versionen bis zu Hofmannsthal zeigen, die Schichten ihres Besiegtseins vergessen machend, als Figur der Rache auftritt, hat Elfie Elektra an Kraft verloren. Der Entschluß zum „Krieg gegen Mama“ [9] wird als Haltung nicht durchgeführt. Von dieser Unterlassung spricht der Text des Elfie-Elektra-Chores, der Klage, Anklage, Selbstanklage, aber nicht Racheankündigung ist. ( „Ihre Pfeile sind verschossen, ohne daß auch nur einer getroffen hätte“, heißt es entsprechend im Text des Matrosen-Chores {{10}} .) Elfie Elektra, die die Elektra-Geschichte mit sich trägt, aber eine längst Besiegte ist, ist als Figur nicht an Sichtbarkeit geknüpft. Dieser Figur entspricht im Bühnenraum kein noch so prekäres Proszenium. In der Inszenierung tritt Elfie Elektra als nur akustisch vernehmbare Chor-Figur auf der nicht einsehbaren Hinterbühne auf.
    Der Chor der Matrosen – in Jelineks Text „Der Taucher“ {{11}} –, der sich als Elfie Elektras Bruder zu erkennen gibt, ist im Gegensatz dazu extrem in der Sichtbarkeit organisiert. Aus der Unterbühne kommend beendet der Matrosen-Chor, diese vielgestaltige Wiedergänger-Figur des Orest, eine Szene zwischen Elektra und Chrysothemis aus Hofmannsthals Stück. Auf die falsche Nachricht von Orests Tod beschließt Elektra, den Rachemord notfalls auch alleine auszuführen. Die Körper der Matrosen, von der Unterbühne beleuchtet, werfen bereits riesige Schatten an die Brandmauer. Schließlich beginnt der Matrosenchor, die beiden Schwestern übertönend, zu sprechen. Diese brutale Beendigung der Elektra-Szene spiegelt sich im Text der Matrosen, der von der umfassenden Besiegtheit der Elektra-Figur spricht. Die Vorderbühne wird bis zur Rampe hell erleuchtet, und die Riege der Matrosen nimmt den bis dahin leeren Ort an der Bühnenkante ein, der die Orchestra erinnert.
    Nach Ende ihres Textes marschieren die Matrosen zu dem Ort auf der Bühne zurück, an dem sie zuvor ‚aufgetaucht‘ sind. Während der ganzen Zeit, in der der nicht-sichtbare Elfie-Elektra-Chor spricht, bleibt der Matrosen-Chor als Schattenfigur dort stehen. Die stimmliche Präsenz des Elfie-Elektra-Chores, der nicht sichtbar ist, beherrscht nun die Szene. Der Merkwürdigkeit der leeren Vorderbühne während der Elfie-Elektra-Rede entspricht der schweigende Matrosen-Chor, der in der Position des Zuhörers erstarrt ist. Während er als Schattenfigur, die nicht abtreten kann, auf der Bühne steht, beherrscht der nicht zu sehende Elfie-Elektra-Chor, der klanglich viel variantenreicher ist als der Matrosen-Chor, die Szene auf ganz andere Weise. Indem diese Szene auf der visuellen Ebene stillsteht, wird der Theaterraum hier in erster Linie Klangraum. Darüber hinaus verstärkt das chorische Sprechen Elfie Elektras, indem es sich dem Auge entzieht, den Umstand, daß der Chor viel mehr mit dem Gehörtwerden verknüpft ist als mit dem Auftreten im Feld der Sichtbarkeit.

    4. Theaterraum als Chorraum und Orchester als Chor – Der Golem in Bayreuth

    1999 inszeniert Schleef am Burgtheater das ,Musiktheaterspiel‘Der Golem in Bayreuth von Ulla Berkéwicz. Das Stück verbindet die Legende des Golem, einer verlebendigten Figur aus Lehm, die Rabbi Löw gemäß der Kabbala um 1600 in Prag geschaffen haben soll, mit Wagners Version des Parzival-Mythos, die 1882 im Bayreuther Festspielhaus als „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal zur Uraufführung kam. Auf der Textebene wird eine Linie von der in einem Akt der Hybris geschaffenen Figur des Golem zu den ,denkenden Maschinen‘ und perfekten Körpern behauptet, an deren Vision zeitgenössische Kybernetiker und Gentechniker arbeiten. Doch die von Menschenhand geschaffenen, seelenlosen Geschöpfe, so die These des Stücks, sind nur scheinbar kontrollierbar und haben längst begonnen, ihrerseits den Menschen zu beherrschen.
    Als ,Stück im Stück‘ ist in Golem die Aufführung des Parsifal szenischer Anlaß der Versammlung der Bayreuther Festspielgesellschaft. Das Festspielhaus wird jedoch von einer Gruppe gewalttätiger Jugendlicher besetzt, die drohen, das Theater abzubrennen. In dieser vom Stücktext vage als neonazistisch skizzierten Gruppierung der ,Haßkappen‘ scheint sowohl die Angstfigur des Golem wiederzukehren wie auch Parsifal, der vorgeblich ,reine Tor‘. Parsifal selbst, musikalisch extrem anwesend in der Inszenierung, tritt als Protagonist nicht mehr auf. Das Stück zeichnet sich überhaupt durch die strukturelle Abwesenheit protagonistischer Figuren aus. Als einzige Einzelfigur hat der Golem keine Sprechstimme. Zwar wird er, wie die Legende sagt, mittels eines ihm in die Stirn gesteckten Zettels, auf dem der unaussprechliche Name Gottes steht, zum Leben erweckt. Paradoxer Weise bleibt er jedoch eine sprachlose Figur. Der Golem scheint allenfalls in der vielstimmigen Wiedergänger-Figur der Haßkappen zur Sprache zu kommen, mit der er sich nach und nach verbündet.
    Bereits der Stücktext etabliert also eine grundsätzlich chorische Struktur. So ragen zwar einzelne Stimmen punktuell aus den chorischen Zusammenhängen heraus, treten jedoch nicht von diesen losgelöst auf. Schleefs Inszenierung greift diese chorische Struktur auf und radikalisiert sie in mehrfacher Hinsicht. Mit der Verabschiedung des Protagonisten bleibt als einzige theatrale Form die Chor-Szene, was sich nicht zuletzt auf die Behandlung des Theaterraums auswirkt.
    Einar Schleefs Golem-Inszenierung ist auch und vor allem eine grundsätzliche Befragung des Theaterraums in Hinblick auf einen Ort des Chors im Theater. Die große Frage, die sich gerade angesichts dieser durchgängig chorischen Inszenierung stellt, ist, ob es überhaupt einen Ort des Chors im Theater gibt. Da Golem ein Musical ist, muß die Frage gestellt werden, wie sich das Orchester zum Chor positioniert. Welche Stellung nimmt das Orchester in einem Theater ohne Chorraum und ohne Orchestergraben ein?
    Von Beginn an ist die Inszenierung durch den gleichzeitigen Auftritt verschiedener Chöre gekennzeichnet. Nach dem Einlaß tritt Einar Schleef als Stadtrat von Bayreuth in den Zuschauerraum, der wie die Bühne hell erleuchtet ist. Der Stadtrat erklärt dem Publikum die Bedrohung von Seiten der Haßkappen, die auf den Straßen einen Bürgerkrieg führen und dem Theater immer näher rücken. „Trotzdem“, so der Stadtrat, „der Aufführung des Parsifal heute wünschen wir gutes Gelingen“. {{12}}Der Chor der Festspielgesellschaft tritt an die Bühnenkante, und es beginnt ein elegischer, kakophonischer Gesang. Dieser Chor, der hier die Festspielgesellschaft vor der Aufführung des Parsifaldarstellt, wird sich später zum Orchester formieren. Das Orchester ist so bereits als Mitspieler und das heißt: als Chor definiert. Plötzlich stürmt eine Gruppe schwarz gekleideter, mit Schlagstöcken bewaffneter Männer und Frauen durch den Zuschauerraum bis zur Bühnenrampe. Der Stadtrat schreit in die beiden gleichzeitigen Chöre hinein: „Wogegen protestieren Sie? Was wollen Sie?“ {{13}}, wird aber von Pfiffen und „Bier“-Rufen der Haßkappen übertönt. Die Streitszene zwischen Stadtrat und Haßkappen findet inmitten des Publikums statt, dessen Ort von diesem Konflikt durchzogen beziehungsweise gespalten wird. Räumlich eingefaßt wird das Publikum und mit ihm die Szene des Konflikts von der jetzt schweigenden Chorriege auf der Bühne und den an die Parsifal-Aufführung erinnernden Blechbläsern auf dem Rang, die das ,Verwandlungsmotiv‘ aus Parsifal intonieren. Den fiktiven Ort des Gasthauses gibt es in der Inszenierung nicht, alles findet im Theater statt. So wird die Konfrontation der verschiedenen Gruppen in der Inszenierung nicht nur theatralisiert, sondern auch verschärft: durch das Gegenüber von der Festspielgesellschaft als Chor auf der Bühne und den Haßkappen als Gegenchor im Parkett, aber auch weil sich alles in einem Raum und mitten unter den Zuschauern abspielt, die durch die Ansprache des Stadtrats von Bayreuth und die räumliche Anordnung gleichsam zu Mitgliedern der Festspielgesellschaft geworden sind. Das Theater als realer Ort der Zusammenkunft wird somit zum Verhandlungsraum, in dem das, was auf dem Theater stattfindet, zuallererst verhandelt werden muß.
    Eine weitere konfrontative Szene, in der verschiedene Chöre gegeneinander antreten, gibt es gegen Ende der Aufführung: Die Haßkappen postieren sich an der Bühnenrückwand und wiederholen ihre eingangs vom Stadtrat zitierte Kriegserklärung gegen Stadt, Staat und Festspielhaus. Die Szene spielt bei minimaler Beleuchtung, wie überhaupt weite Teile der Inszenierung, die sich dadurch vor allem als ein Theater der Stimmen kennzeichnet. Einzige Lichtquelle ist hier ein in der Mitte der Bühnenrampe lokalisierter Scheinwerfer. Man sieht den übergroßen Schatten des Golem und die unheimliche schwarze Riege der Haßkappen als Schattenfiguren. „Das Festspielhaus brennt“ {{14}} , skandieren sie und schlagen in einem vom Chorführer angegebenen Takt mit ihren Schlagstöcken auf den Bühnenboden. Die Bedrohlichkeit der Szenerie ergibt sich vor allem aus ihrer klanglichen Disposition: Da der Bühnenraum vollständig mit Holz ausgeschlagen ist, läßt das Knallen auf den Bühnenboden den gesamten Theaterraum erschallen. Das ganze Theater wird so auch physisch zum Resonanzraum dieses Chorauftritts, der, obgleich weit von der Bühnenkante entfernt, den ganzen Theaterraum erfaßt, nicht nur auditiv, sondern geradezu körperräumlich.
    Währenddessen sind nach und nach alle Chormitglieder des Stücks auf die Vorderbühne getreten, und es haben sich fünf Gruppen gebildet, die man jetzt gleichzeitig hört: Ein Männer- und ein Frauenchor singen abwechselnd „Hojotoho–há“ (Ruf der Walküren in Wagners Ring der Nibelungen.) mit ansteigender Geschwindigkeit, so daß sie sich schließlich überlagern. Ein Kinderchor singt das Lied der Haßkappen („Haß macht Spaß“). Die Haßkappen haben ihre Schlagstöcke weggeworfen und sind mit der Kampfparole „Bayreuth brennt“ ebenfalls an die Bühnenrampe getreten. In diesen Stimmenkampf der verschiedenen Chorgruppen hinein erklingt wieder das bereits erwähnte Fanfaren-Motiv aus Parsifal. Nach dieser Szene, die von mehreren Auftritten der untoten Kundry-Figur unterbrochen wird, vereinen sich alle Chöre zu einem und singen das ,Gralsmotiv‘, während die Fanfaren wiederum das ,Liebesmotiv‘ spielen. Dies ist zum einen eine klangliche Radikalisierung, da sämtliche Chormitglieder an der Bühnenrampe stehen und ihre Stimmen das ganze Theater erfüllen, zum anderen aber auch inhaltlich, insofern es scheint, als würde der große, nunmehr aus allen Darstellern bestehende Chor, der Enthüllung des Grals – die ja hier nicht stattfindet –, nicht beiwohnen – wie die Gralsritter in WagnersParsifal –, sondern sie vielmehr fordern. Diese Haltung des Chores assoziiert die angeschlagene Gralsritterschaft, die zur Stärkung ihrer Gemeinschaft die Wiederaufnahme des Gralsritus fordert, der einzig Unverletzlichkeit und Unsterblichkeit garantieren kann. Wie auch in weiteren Szenen der Inszenierung, die Parsifal zitieren, tritt der Chor hier, im Gegensatz zu Wagner, an die Stelle des Orchesters. Ein Orchester gibt es an dieser Stelle nicht, einzige Instrumentierung dieser Szene ist das Piano. Die Blechbläser (Fanfaren) bilden eine eigene Chorgruppe. Die Übernahme musikalischer Partien durch den Chor in den Parsifal-Szenen geht so weit, daß nicht nur die Gralsritter als Chor in den Vordergrund treten, sondern auch die Stimme des Protagonisten vervielfältigt wird, wenn er zum Schluß seine Machtübernahme mit den Worten besiegelt: „Enthüllet den Gral“. {{15}} Die bei Wagner darauf folgende chorische Huldigung Parsifals als Erlöser hingegen fällt aus. Kein Gral, keine Substitution der Blutdroge, keine Erlösung.
    Wie der Chor in den Parsifal-Zitationen an die Stelle des Orchesters tritt, wird das Orchester in SchleefsGolem-Inszenierung durchgängig als Chor behandelt. Das wird auch in der räumlichen Anordnung deutlich, die der des Chors im Akademietheater gleicht. So umfassen auch die Spielorte des Orchesters den gesamten Theaterraum, indem sie von dem Rang, aus dem die ,Parsifal-Fanfaren‘ ertönen, bis zur Hinterbühne reichen. Das Orchester, derart als Chor behandelt, hat in diesem Theater genau wie der Chor keinen ihm eigenen Ort. Der fehlenden Orchestra korrespondiert in dieser Raumbehandlung die Abwesenheit des Orchestergrabens. Nicht der Bühne, also der Szene gegenüber, vor ihr oder gar unter ihr verborgen, unsichtbar in einen ,mystischen Abgrund‘ (Wagner) versenkt, spielt das Orchester, sondern: auf der Bühne, gegenüber den Zuschauern, sowie auf dem Rang, hinter den Zuschauern, der Bühne gegenüber. In der konsequenten Gleichbehandlung von Orchester und Chor, der räumlichen wie klanglichen Definition des Orchesters als Chor, wird also nicht zuletzt die Problematik eines im Theater nicht vorhandenen Chorraums deutlich.

    5. Wagner und Schleef – Die Ersetzung des Chors durch das Orchester und das Problem des Orchestergrabens

    In seinen Theaterarbeiten sowie in Droge Faust Parsifal – und hier insbesondere am Parsifal-Thema und seiner möglichen Umsetzung – problematisiert Schleef den Theaterraum immer wieder hinsichtlich des Verschwindens des Chors und der Abwesenheit eines expliziten Chorraums. In Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit Wagner ist zu fragen, inwiefern für Schleef die Positionierung des Orchesters im Musiktheater und insbesondere Wagners Lösung des Orchestergrabens ein Problem darstellt. In welchem Verhältnis stehen Orchester und Chor zueinander? Wie verhalten sich beide zu und in einem Theaterraum, der keinen Chorraum vorsieht? Wie plaziert man das Orchester in einem Theater, das nicht als Hörraum, sondern als reine Schauanlage konzipiert ist?
    Wagner löst das Problem der aus den Theaterräumen gestrichenen Orchestra, eines fehlenden Chorraums im Theater praktisch, indem er einen Graben zwischen Bühne und ,Cavea‘ (Wagner) zieht und so das Orchester optisch verschwinden läßt. Theoretisch behauptet er, in Oper und Drama, die vollständige, adäquate Ersetzung des Chors durch das nunmehr unsichtbare, moderne Orchester. Für Schleef stellt der Orchestergraben jedoch keine Lösung des Problems dar, sondern eine Verschärfung. Das Problem der Situierung des Orchesters in den als Schauräumen angelegten Theaterräumen, deren Tradition bis heute wirksam ist, ist auch für Schleef das zentrale Problem des Chorauftritts, die Frage nach einem Ort des Chors im Theater.
    In der erstmalig 1852 erschienenen Schrift Oper und Drama formuliert Wagner die theoretische Konzeption seines Musiktheaters in Absetzung von der zeitgenössischen Oper, in der der Chor zum gänzlich inhaltlosen Teil der Theaterapparatur herabgesunken sei und das Orchester mit der Übernahme der Gesangsmelodie nur mehr als Stimmverstärker aufgefaßt werde. Wagner plädiert für die jeweilige Eigenständigkeit von Stimme und Orchester, ,Wortsprache‘ und ,Tonsprache‘, und für die vollständige Abschaffung des herkömmlichen Opernchors. Die Bedeutung des Chors aber ist in Wagners Musiktheaterkonzeption auf das moderne Orchester übergegangen, das jenen fortan ästhetisch ersetzen soll. {{16}} Der Protagonist, respektive Sänger, sei als ,individuell menschliche Erscheinung‘ des Chors aus der Orchestra hinauf auf die Bühne gestiegen, als eine einzelne Stimme, die aus dem Orchester, dem ehemaligen Chor herausrage. Wagner beschreibt hier die Geburt des Protagonisten aus dem Chor und dessen zukünftige Ersetzung durch das Orchester: Die Orchestra wird zum Orchester. Wagner streicht damit nicht nur den Chor, sondern indem er die (ehemalige) Orchestra als Orchesterraum definiert, wird die Bühne zum alleinigen Darstellungsraum erhoben, als alleiniger Ort der Sichtbarkeit und der Kundgebung der individuellen menschlichen Stimme. Aufgrund dieser hier angedeuteten räumlichen Aufteilung kann das Orchester, wie im Bayreuther Festspielhaus realisiert, im Graben verschwinden. Daß die Unsichtbarmachung des Orchesters aber das theatrale Problem der Beziehung zwischen Graben und Bühne, die problematische Beziehung zwischen Sichtbarkeit und Hörbarkeit im Theater nicht löst, ist ein Punkt, den Einar Schleef in seinen Texten und Theaterarbeiten immer wieder bearbeitet.
    Warum also muß das von Wagner als moderner Nachfolger des antiken Chors definierte Orchester aus der Sichtbarkeit verschwinden? Zu welchem Zweck werden sichtbare Sänger von unsichtbarer Musik getrennt? Vor welchem gedanklichen Hintergrund wird der Graben zwischen Bühne und Zuschauerraum installiert?
    In seiner Rede zur Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses stellt Wagner das Verhältnis von Bühne und Zuschauerraum unter den Begriff der ,erhabenen Täuschung‘. Diese solle es ermöglichen, von jeglicher zwischen Bühne und Zuschauer gelegenen Realität abzusehen. Daher sieht Wagner sich genötigt, das Orchester unsichtbar zu machen. Aus dieser „Nötigung“ {{17}} ergibt sich die Abschaffung der Logenränge zugunsten einer ,Cavea‘-Form. Das Orchester als Störfaktor in der visuellen Wahrnehmung der Bild-Szene, als die Wagner die Bühne bestimmt, habe in der Versenkung zu verschwinden. Sein Auftrittsort ist jetzt die Rest-Orchestra, also der ehemalige Chorraum, welcher mit der Erfindung des Orchestergrabens endgültig aus dem sichtbaren Theaterraum gestrichen wird. Die Einrichtung des Orchestergrabens als inhaltlich nicht näher definiertem Zwischenraum zwischen Proszenium und den vorderen Sitzreihen des Publikums feiert Wagner als ,mystischen Abgrund‘, welcher ,Realität‘ und ,Idealität‘ zu trennen habe. Folgt man der Beschreibung dieser räumlichen Anordnung unter dem Gesichtspunkt der in Oper und Drama proklamierten Ersetzung des Chors durch das Orchester, bleibt zunächst die Merkwürdigkeit festzuhalten, daß Wagner den Bau seines Musiktheaters in erster Linie nach optischen Maßgaben einrichtet. Vom Hören ist in seinem Text zur Bayreuther Grundsteinlegung nicht viel die Rede, wenig auch von der Beziehung zwischen Orchester und Bühne. Die wichtigste Funktion des antiken Chors im Theater, die Veröffentlichung der gesprochenen Rede, kann dem in der Versenkung verschwundenen Orchester schwerlich zugeordnet werden. Das „Auseinanderdriften von Sprech- und Musiktheater“ {{18}}, das Schleef konstatiert, die Manifestation der Trennung von Sehen und Hören im Theater, die Wagner nolens volens vorantreibt, sind keine Abstrakta, sondern ganz konkrete Probleme, die sich dem Theater stellen, insbesondere dem Chortheater, das im Kern dieses Problems arbeitet. Die von Wagner angestrebte Ersetzung des Chors durch das unsichtbare Orchester bleibt für Schleef vor allem auch deshalb problematisch, weil Ausgangspunkt der Überlegungen Wagners, wie er selbst in seiner Rede sagt, seine ,Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ ist. Schleef liest mit und gegen Wagners Theaterentwurf, wenn er analysiert: „Musik ist Dämmerung“ {{19}} . Der Zustand der Dämmerung in Wagners Stücken definiere dessen „Gegenposition zur betonten Zentralperspektive im Bühnenraum“ {{20}}. Von der szenischen Anlage deutet gerade Wagners „Bühnenweihfestspiel“Parsifal, das in Schleefs Golem-Inszenierung auf mehreren Ebenen zitiert wird, auf das Schwinden des Sehsinns. Keine lichten Gestalten, „schattig und ernst“ ist es im Gralswald. Auch die Gralsburg scheint alles andere als ein Ort der Hellsichtigkeit, und gerade zum Ende hin, zur vorgeblichen Erlösung, wird die Szene immer finsterer. An deren permanenter Verdunkelung scheint Wagner geradezu zu arbeiten, Weiheakt und Tragödie sind im hell erleuchteten Bühnenkasten nicht abzubilden.
    Dunkel ist es auch in allen Parsifal-Zitaten in Golem. Die Inszenierung des Golem zeigt Schleefs Wagner-Rezeption auch als Revision, obwohl oder gerade weil er Wagner sehr genau liest. Schleef arbeitet auch hier an den Paradoxien der Theaterentwürfe Wagners: einerseits der vollständigen Ersetzung des antiken Chors durch das moderne Orchester und andererseits dessen Versenkung im Orchestergraben und damit letztlich Abschaffung eines Chorraums im Theater; einerseits die ,gänzliche Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ im Bayreuther Theaterbau und andererseits ständiges Ankämpfen gegen dieselben in der Konzeption der Stücke wie in Bühnenentwürfen; einerseits die Einführung der Arbeitsteilung zwischen Bühne und Orchestergraben und die nicht zuletzt durch das Verschwinden des Chorraums manifestierte Trennung von Sehen und Hören im Theater, und andererseits die vor allem in Oper und Drama formulierten Ideen zu einem synästhetischen Gesamtkunstwerk; letztlich auch das Problem der Gottabwesenheit und auf der anderen Seite der Versuch der Installation einer ,Kunstreligion‘, die ihren Höhepunkt in Parsifal findet, wo alle genannten Paradoxien zusammenzukommen scheinen. Das hier skizzierte Problem des Orchestergrabens ist für ein Theater, das die Arbeitsteilung weiterführt und die Trennung von Sehen und Hören nicht aufhebt, nicht zu lösen. Mit und gegen das große Vorbild Wagner arbeitet Schleefs Chortheater im Zentrum dieses Problems.

    [[4] Vgl. ebd., S. 392. [[4]]

    [[10]]ebd., S. 169[[10]]
    [[11]] im Nebentext als plurale Figur gekennzeichnet: „Es kommt ein, es kommen vielleicht sogar mehrere Taucher aus dem Boden“. In: Jelinek 1998., S. 167. [[11]]
    [[12]] Berkéwicz 1999, S. 10. Von dieser Fassung abweichender Aufführungstext ist mit * gekennzeichnet. [[12]]
    [[13]] Ebd., S. 14. [[13]]
    [[14]] Ebd., S. 61. [[14]]
    [[15]] Wagner 1950, S. 61. [[15]]
    [[16]] Vgl. Wagner1984, S. 349. [[16]]
    [[17]] Wagner, Richard: „Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth“. Hier zitiert nach: http://www.bayreuther-festspiele.de. [[17]]
    [[18]] Schleef 1997, S. 50. [[18]]
    [[19]] Ebd., S. 74 u.266 f. [[19]]
    [[20]] Ebd., S. 74. [

  10. Schleefs Chortheater weist als grundsätzliche Befragung des Theaterraums auf ein Paradox hin, das dem europäischen Theater von Beginn an eingeschrieben scheint: Dem Chor als erster Figur des Theaters scheint in diesem kein eigentlicher Ort zuzukommen.Schleefs Arbeit an diesem Paradox soll im folgenden an vier exemplarischen Punkten nachgezeichnet werden: an seiner analytischen Beschreibung der tragischen Bühne als Szene ,VOR DEM PALAST‘, an der Fragilität der theatralen Orte in der Inszenierung Ein Sportstück, an der Definition des Orchesters als Chor in der Inszenierung Der Golem in Bayreuth und an Schleefs Wagner-Rezeption und dem Problem des Orchestergrabens.

    2. Elektra ,VOR DEM PALAST‘ – Die Gründung des Proszeniums

    Das antike Theater gründet in einem doppelten Raum-Problem: Zum einen ist das Proszenium als Ort des tragischen Protagonisten ein Un-Ort zwischen Skene und Orchestra, Palast und Chor. Die Tragödie zeigt den leidenden Protagonisten im Schwebezustand zwischen diesen beiden Orten, von denen er durch die Geschichte, die verlautbart wird, unwiderruflich getrennt ist. Der Ort, an dem dieses Getrenntsein sich mitteilt und erfahrbar wird, ist das Proszenium, das Schleef in seinem Essay Droge Faust Parsifal mit der Angabe ,VOR DEM PALAST‘ bezeichnet. Das zweite Problem ist das räumliche Verhältnis zwischen Chor und Protagonist – und damit auch zwischen Chor und Palast/Skene. Indem die Szene ,VOR DEM PALAST‘ sich zwischen Palast und Chorraum schiebt, kann das Proszenium auch als Barriere zwischen Orchestra und Skene aufgefaßt werden. Das heißt nicht nur der auf der tragischen Szene ausgesetzte Protagonist entfernt sich durch sein Hervortreten vom Zentrum der Macht, auch der Chor wird durch die Errichtung des Proszeniums von dem Palast abgeschnitten, als dessen ,eigentlichen Bauherren‘ ihn Schleef beschreibt. [1]
    ,VOR DEM PALAST‘ tritt nicht nur die grundlegende Spaltung zwischen Chor und Protagonist, Protagonist und Palast hervor. Indem die Orchestra nach der Errichtung des Proszeniums nicht mehr gemeinsamer Auftrittsort von Chor und Schauspieler ist, zeigt sich, daß auch die Herkunft der Chor-Figur eine andere ist. Schleef schreibt, sie gehöre eher zur „Bühnenlandschaft“, sie sei vielmehr selbst Landschaft. Doch diese Landschaft in ihrer „ursprünglichen, heilenden Bedeutung“ [2] so Schleef, als Ort, an dem „sich das Individuum von seinen Schmerzen lösen könnte“[3], scheint in den Tragödien allenfalls im Konjunktiv auf. Die Landschaft, aus der der Chor hier kommt, um vor den Toren des Palasts zu klagen, ist keine unzerstörte Idylle. Grund der Versammlung des Chors vor dem Palast – im Theater, in der Orchestra – ist in den antiken Tragödien stets eine existentielle Bedrohung: Krieg, Terror, Rechtsbruch. Politischer Grund des Auftritts der Chor-Figur auf dem Theater ist es, diese Situation zu veröffentlichen, auf dem Theater zu verhandeln. Meist gibt es keine Lösung des Konflikts, zumindest keine friedliche, das heißt: keine Lösung ohne Opfer. Davon sprechen die Tragödien, in denen, so Schleef, noch das Menschenopfer erinnert werde. [4] Droge Faust Parsifal definiert die Bühne der antiken Tragödie als Szene ,VOR DEM PALAST‘:

    VOR DEM PALAST, das ist die antike Konstellation, das ist das antike Bühnenbild, das ist die Voraussetzung für den Individualisierungsprozeß, das ist das Zeichen für das bevorstehende Opfer, das ist das Zeichen für die Entzweiung der Figuren, der Menschen untereinander. [5]

    Die paradigmatische Figur, an der Schleef die ,antike Konstellation‘ als Szene ,VOR DEM PALAST‘ beschreibt, ist Elektra. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind der zweite Teil der Orestie Die Choephoren / Die Grabspenderinnen sowie die sophokleische Elektra. Aischylos’ Stück hat einen wesentlich höheren Chor-Anteil, worauf schon der Titel schließen läßt, während Sophokles Elektra im eigentlichen Sinn aufs Proszenium stellt, indem er die Szene ,VOR DEM PALAST‘ definiert. Da Droge Faust Parsifal die unterschiedlichen theatralen Versionen des Elektra-Stoffs vermischt, sollen diese hier im Hinblick auf das Verhältnis von Chor und Protagonist kurz skizziert werden.
    Nach der Ermordung Agamemnons durch Klytämnestra und Aigisth verweigert Elektra ein einvernehmliches Leben mit den neuen Machthabern, den Mördern ihres Vaters. Plötzlich kommt Orest, der von der Mutter verbannte Bruder Elektras, zurück nach Mykene. Unter Strafandrohung bei Unterlassung hat er, so Aischylos, von Apoll den Auftrag bekommen, den Vatermord zu rächen. Die Szene beginnt in den Choephoren am Grab Agamemnons, wo der Chor die Wiederherstellung der genealogischen Ordnung und die Beendigung der unrechtmäßigen, tyrannischen Herrschaft Aigisths fordert. Gemeinsam bitten Chor, Elektra und Orest die chtonischen (Erd-)Götter um Unterstützung bei der Ausführung der Rache. In der Mitte des Stücks wechselt der Schauplatz vom Grabhügel zum Palast. Orest gelangt mittels einer List in den Palast und führt den Rachemord durch. Elektra tritt nicht mehr auf.
    In Sophokles’ Elektra hingegen ist sie die ganze Zeit auf der Bühne, das heißt ,VOR DEM PALAST‘, in den sie es ablehnt zurückzukehren.

    Doch nein! nie werd ich für die künftige Zeit
    Im Haus mit denen leben, sondern hier am Tor,
    Dahingesunken, möge ohne Freund
    Das Leben mir verdorren! [6]

    Sophokles’ Elektra ist es, die den Ort ,VOR DEM PALAST‘ benennt, den sie während des ganzen Stückes nicht verläßt. Im Gegensatz zu den Choephoren ist es hier auch Elektra, die Orest verstärkt zur Rachetat antreibt. Der Chor drängt nicht auf Wiederherstellung der legitimen väterlichen Ordnung, sondern hält Elektra zur Mäßigung an. Bei Aischylos wie bei Sophokles ist Elektra eine gekrümmte Figur, sie behält die am Grab des Vaters eingenommene Haltung bei. Ihr Ort ist am Boden vor dem Palast, aus dem sie ausgestoßen ist beziehungsweise in den sie sich weigert, wieder einzutreten. Obwohl sie die Tat nicht ausführt, ist Sophokles’ Elektra die große Rachefigur, indem sie Orest zum Mord antreibt, dessen Auftrag nun, anders als in den Choephoren, kein göttlicher mehr ist, sondern ein selbstgegebener. Diese Dimension der Elektra-Figur wird von ihrer ununterbrochenen Präsenz in der Szene bekräftigt, während ihr Drama bei Aischylos mit der Ankunft des Bruders zuende ist.
    Elektra bleibe, so Schleef, eine „schwierige Figur“, „wie die Waffe, der das Geschoß fehlt, aber deren Existenz sowohl Schuß als auch Treffer imaginieren läßt.“ [7] (Schleef 1997, S. 266.) Von der „übermächtigen Bindung an die untergegangenen Figuren erdrückt“ [8], gibt Elektra ihren Thronanspruch auf und verharrt am Boden vor den Toren des Palasts. Mit dieser Geste der Unterlassung gründet sie das Proszenium, den Ort ,VOR DEM PALAST‘, als Unort, der sich ex negativodefiniert: Er ist nicht Palast, nicht Landschaft, nicht Orchestra. Dieser Ort, der weder Skene noch Orchestra ist, wird zum Ort der Klage des tragischen Protagonisten, zu dem Ort, der den Konflikt anzeigt und ausspricht.
    Mit der Errichtung des Proszeniums auf dem Theater muß der Chor notwendig vom Palast wegrücken. Das Proszenium ist somit nicht nur Auftrittsort des tragischen Protagonisten, sondern auch Barriere zwischen Chor und Palast, Orchestra und Skene. Diese räumliche Trennung von Chorraum und Skene bezeichnet den „Chor-Riß“, als welchen Schleef die irreversible Trennung der Einzelfigur vom Chor beschreibt, deren Tragödie sich „demnach nur im Wechsel mit dem Chor“ abbilden lasse. [9]
    Der Chor, einst Zentrum des Theaters, in das er, von außen kommend, feierlich eingezogen ist, findet im Proszenium seine Grenze, die er nicht überschreiten kann. Das Proszenium, das in der Folge immer größer wird und schließlich die Bühne ganz einnimmt, steht mehr und mehr gegen die Orchestra, die immer kleiner wird und letztlich ganz aus dem Theater verschwindet – wie der Chor.

    3. ,Unter dem Eindruck der Tragödie‘ – Ein Sportstück

    In der Uraufführung von Elfriede Jelineks Sportstück, 1998 am Burgtheater, gibt es keinen Palast und keine Orchestra. Dem korrespondiert die grundsätzliche Abwesenheit protagonistischer Figuren. Die Bühne ist zumeist in rampenparallele, beleuchtete und nicht-beleuchtete Streifen eingeteilt, was die Fragilität der Auftrittsorte sowie den Status der Figuren kennzeichnet. Die Orte des Chors sowie der einzeln auftretenden Figuren werden mittels Licht hergestellt. So erinnert der erleuchtete Teil der Vorderbühne bis zur Bühnenkante an die im Theater nicht vorhandene Orchestra, und für den Auftritt der Einzelfigur markiert ein parallel zur Rampe verlaufender Lichtsteg unter dem Eisernen Vorhang das Proszenium.
    Als Figur der Frage, dem Publikum direkt zugewandt, tritt der große Chor in der von Schleef sogenannten ,mäßigen Chorkleidung‘ (Hier: bodenlange, weite schwarze Kutten, die nur Gesicht und Hände der Chormitglieder zu sehen geben.) an die Bühnenrampe. Dieser Ort ist in der Inszenierung als expliziter Ort des sprechenden Chors markiert, in dem er, hell erleuchtet und halbrund mit der Kante der Vorderbühne abschließend, auf das Fehlen einer Orchestra, eines Chorraums im Theater, aufmerksam macht. Hier tritt in der Inszenierung der sowohl inhaltlich wie auch klanglich vielfältigste Chor auf. Diesem ersten Auftritt des Chores geht die lange Rede einer Frauenfigur voraus, eine Ansprache der Mutter an den abwesenden Sohn, der Opfer des von ihm betriebenen Leistungssports werden wird. Daß diese Figur keine tragische Protagonistin ist, sondern allenfalls „unter dem Eindruck der Tragödie“ [7] steht, wie es in Ein Sportstück heißt, verdeutlicht die Bühnenbeleuchtung: Das Proszenium, markiert durch den Lichtstreifen, kann jederzeit verschwinden. An diesem fragilen Ort hält die Mutter ihre Anklage – an den Sohn, der sie verlassen hat, an den Sport, der ihr den Sohn geraubt hat. Nach ihrer Ansprache pfeift sie zum Wettkampf, worauf 47 Chormitglieder an der Frau vorbei bis zur Rampe laufen, wo sie dicht aneinander gedrängt stehen bleiben. Der gesamte Bühnenboden ist jetzt wieder in das schon beschriebene Lichtmuster eingeteilt. Der Teil der Vorderbühne, auf dem der Chor steht, ist hell erleuchtet. Der Lichtstreifen auf der Höhe des Eisernen Vorhangs, wo die Mutter steht, ist nunmehr ein Lichtstreifen unter vielen, womit das vorherige Proszenium verschwunden ist.
    Schleefs Sportstück-Inszenierung konfrontiert zwei Szenen aus Hugo von Hofmannsthals Elektra mit Jelineks Figur der Elfie Elektra, die als Chor und jenseits der Sichtbarkeit auftritt. Elfie Elektra aus Jelineks Sportstück ist keine protagonistische Figur. Ihre „Programmversionen“ hat sie sich „angelesen wie ein Dieb“ [8], heißt es im Stück. Aus ihr spricht nicht nur die Elektra-Figur, die die Lücke in der Genealogie beklagt und Rache für den Vatermord ankündigt, sondern ebenso die Stimmen derjenigen, die mit den Toten nichts zu tun haben wollen. Ihre Rede ist in sich vielstimmig, das heißt, sie verweist nicht auf die Fiktion einer personalen Figur, die mit einer einheitlichen, in sich konsistenten Stimme sprechen würde. Im Gegensatz zur Figur der Elektra, die, obwohl Besiegte, wie alle Elektra-Versionen bis zu Hofmannsthal zeigen, die Schichten ihres Besiegtseins vergessen machend, als Figur der Rache auftritt, hat Elfie Elektra an Kraft verloren. Der Entschluß zum „Krieg gegen Mama“ [9] wird als Haltung nicht durchgeführt. Von dieser Unterlassung spricht der Text des Elfie-Elektra-Chores, der Klage, Anklage, Selbstanklage, aber nicht Racheankündigung ist. ( „Ihre Pfeile sind verschossen, ohne daß auch nur einer getroffen hätte“, heißt es entsprechend im Text des Matrosen-Chores {{10}} .) Elfie Elektra, die die Elektra-Geschichte mit sich trägt, aber eine längst Besiegte ist, ist als Figur nicht an Sichtbarkeit geknüpft. Dieser Figur entspricht im Bühnenraum kein noch so prekäres Proszenium. In der Inszenierung tritt Elfie Elektra als nur akustisch vernehmbare Chor-Figur auf der nicht einsehbaren Hinterbühne auf.
    Der Chor der Matrosen – in Jelineks Text „Der Taucher“ {{11}} –, der sich als Elfie Elektras Bruder zu erkennen gibt, ist im Gegensatz dazu extrem in der Sichtbarkeit organisiert. Aus der Unterbühne kommend beendet der Matrosen-Chor, diese vielgestaltige Wiedergänger-Figur des Orest, eine Szene zwischen Elektra und Chrysothemis aus Hofmannsthals Stück. Auf die falsche Nachricht von Orests Tod beschließt Elektra, den Rachemord notfalls auch alleine auszuführen. Die Körper der Matrosen, von der Unterbühne beleuchtet, werfen bereits riesige Schatten an die Brandmauer. Schließlich beginnt der Matrosenchor, die beiden Schwestern übertönend, zu sprechen. Diese brutale Beendigung der Elektra-Szene spiegelt sich im Text der Matrosen, der von der umfassenden Besiegtheit der Elektra-Figur spricht. Die Vorderbühne wird bis zur Rampe hell erleuchtet, und die Riege der Matrosen nimmt den bis dahin leeren Ort an der Bühnenkante ein, der die Orchestra erinnert.
    Nach Ende ihres Textes marschieren die Matrosen zu dem Ort auf der Bühne zurück, an dem sie zuvor ‚aufgetaucht‘ sind. Während der ganzen Zeit, in der der nicht-sichtbare Elfie-Elektra-Chor spricht, bleibt der Matrosen-Chor als Schattenfigur dort stehen. Die stimmliche Präsenz des Elfie-Elektra-Chores, der nicht sichtbar ist, beherrscht nun die Szene. Der Merkwürdigkeit der leeren Vorderbühne während der Elfie-Elektra-Rede entspricht der schweigende Matrosen-Chor, der in der Position des Zuhörers erstarrt ist. Während er als Schattenfigur, die nicht abtreten kann, auf der Bühne steht, beherrscht der nicht zu sehende Elfie-Elektra-Chor, der klanglich viel variantenreicher ist als der Matrosen-Chor, die Szene auf ganz andere Weise. Indem diese Szene auf der visuellen Ebene stillsteht, wird der Theaterraum hier in erster Linie Klangraum. Darüber hinaus verstärkt das chorische Sprechen Elfie Elektras, indem es sich dem Auge entzieht, den Umstand, daß der Chor viel mehr mit dem Gehörtwerden verknüpft ist als mit dem Auftreten im Feld der Sichtbarkeit.

    4. Theaterraum als Chorraum und Orchester als Chor – Der Golem in Bayreuth

    1999 inszeniert Schleef am Burgtheater das ,Musiktheaterspiel‘Der Golem in Bayreuth von Ulla Berkéwicz. Das Stück verbindet die Legende des Golem, einer verlebendigten Figur aus Lehm, die Rabbi Löw gemäß der Kabbala um 1600 in Prag geschaffen haben soll, mit Wagners Version des Parzival-Mythos, die 1882 im Bayreuther Festspielhaus als „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal zur Uraufführung kam. Auf der Textebene wird eine Linie von der in einem Akt der Hybris geschaffenen Figur des Golem zu den ,denkenden Maschinen‘ und perfekten Körpern behauptet, an deren Vision zeitgenössische Kybernetiker und Gentechniker arbeiten. Doch die von Menschenhand geschaffenen, seelenlosen Geschöpfe, so die These des Stücks, sind nur scheinbar kontrollierbar und haben längst begonnen, ihrerseits den Menschen zu beherrschen.
    Als ,Stück im Stück‘ ist in Golem die Aufführung des Parsifal szenischer Anlaß der Versammlung der Bayreuther Festspielgesellschaft. Das Festspielhaus wird jedoch von einer Gruppe gewalttätiger Jugendlicher besetzt, die drohen, das Theater abzubrennen. In dieser vom Stücktext vage als neonazistisch skizzierten Gruppierung der ,Haßkappen‘ scheint sowohl die Angstfigur des Golem wiederzukehren wie auch Parsifal, der vorgeblich ,reine Tor‘. Parsifal selbst, musikalisch extrem anwesend in der Inszenierung, tritt als Protagonist nicht mehr auf. Das Stück zeichnet sich überhaupt durch die strukturelle Abwesenheit protagonistischer Figuren aus. Als einzige Einzelfigur hat der Golem keine Sprechstimme. Zwar wird er, wie die Legende sagt, mittels eines ihm in die Stirn gesteckten Zettels, auf dem der unaussprechliche Name Gottes steht, zum Leben erweckt. Paradoxer Weise bleibt er jedoch eine sprachlose Figur. Der Golem scheint allenfalls in der vielstimmigen Wiedergänger-Figur der Haßkappen zur Sprache zu kommen, mit der er sich nach und nach verbündet.
    Bereits der Stücktext etabliert also eine grundsätzlich chorische Struktur. So ragen zwar einzelne Stimmen punktuell aus den chorischen Zusammenhängen heraus, treten jedoch nicht von diesen losgelöst auf. Schleefs Inszenierung greift diese chorische Struktur auf und radikalisiert sie in mehrfacher Hinsicht. Mit der Verabschiedung des Protagonisten bleibt als einzige theatrale Form die Chor-Szene, was sich nicht zuletzt auf die Behandlung des Theaterraums auswirkt.
    Einar Schleefs Golem-Inszenierung ist auch und vor allem eine grundsätzliche Befragung des Theaterraums in Hinblick auf einen Ort des Chors im Theater. Die große Frage, die sich gerade angesichts dieser durchgängig chorischen Inszenierung stellt, ist, ob es überhaupt einen Ort des Chors im Theater gibt. Da Golem ein Musical ist, muß die Frage gestellt werden, wie sich das Orchester zum Chor positioniert. Welche Stellung nimmt das Orchester in einem Theater ohne Chorraum und ohne Orchestergraben ein?
    Von Beginn an ist die Inszenierung durch den gleichzeitigen Auftritt verschiedener Chöre gekennzeichnet. Nach dem Einlaß tritt Einar Schleef als Stadtrat von Bayreuth in den Zuschauerraum, der wie die Bühne hell erleuchtet ist. Der Stadtrat erklärt dem Publikum die Bedrohung von Seiten der Haßkappen, die auf den Straßen einen Bürgerkrieg führen und dem Theater immer näher rücken. „Trotzdem“, so der Stadtrat, „der Aufführung des Parsifal heute wünschen wir gutes Gelingen“. {{12}}Der Chor der Festspielgesellschaft tritt an die Bühnenkante, und es beginnt ein elegischer, kakophonischer Gesang. Dieser Chor, der hier die Festspielgesellschaft vor der Aufführung des Parsifaldarstellt, wird sich später zum Orchester formieren. Das Orchester ist so bereits als Mitspieler und das heißt: als Chor definiert. Plötzlich stürmt eine Gruppe schwarz gekleideter, mit Schlagstöcken bewaffneter Männer und Frauen durch den Zuschauerraum bis zur Bühnenrampe. Der Stadtrat schreit in die beiden gleichzeitigen Chöre hinein: „Wogegen protestieren Sie? Was wollen Sie?“ {{13}}, wird aber von Pfiffen und „Bier“-Rufen der Haßkappen übertönt. Die Streitszene zwischen Stadtrat und Haßkappen findet inmitten des Publikums statt, dessen Ort von diesem Konflikt durchzogen beziehungsweise gespalten wird. Räumlich eingefaßt wird das Publikum und mit ihm die Szene des Konflikts von der jetzt schweigenden Chorriege auf der Bühne und den an die Parsifal-Aufführung erinnernden Blechbläsern auf dem Rang, die das ,Verwandlungsmotiv‘ aus Parsifal intonieren. Den fiktiven Ort des Gasthauses gibt es in der Inszenierung nicht, alles findet im Theater statt. So wird die Konfrontation der verschiedenen Gruppen in der Inszenierung nicht nur theatralisiert, sondern auch verschärft: durch das Gegenüber von der Festspielgesellschaft als Chor auf der Bühne und den Haßkappen als Gegenchor im Parkett, aber auch weil sich alles in einem Raum und mitten unter den Zuschauern abspielt, die durch die Ansprache des Stadtrats von Bayreuth und die räumliche Anordnung gleichsam zu Mitgliedern der Festspielgesellschaft geworden sind. Das Theater als realer Ort der Zusammenkunft wird somit zum Verhandlungsraum, in dem das, was auf dem Theater stattfindet, zuallererst verhandelt werden muß.
    Eine weitere konfrontative Szene, in der verschiedene Chöre gegeneinander antreten, gibt es gegen Ende der Aufführung: Die Haßkappen postieren sich an der Bühnenrückwand und wiederholen ihre eingangs vom Stadtrat zitierte Kriegserklärung gegen Stadt, Staat und Festspielhaus. Die Szene spielt bei minimaler Beleuchtung, wie überhaupt weite Teile der Inszenierung, die sich dadurch vor allem als ein Theater der Stimmen kennzeichnet. Einzige Lichtquelle ist hier ein in der Mitte der Bühnenrampe lokalisierter Scheinwerfer. Man sieht den übergroßen Schatten des Golem und die unheimliche schwarze Riege der Haßkappen als Schattenfiguren. „Das Festspielhaus brennt“ {{14}} , skandieren sie und schlagen in einem vom Chorführer angegebenen Takt mit ihren Schlagstöcken auf den Bühnenboden. Die Bedrohlichkeit der Szenerie ergibt sich vor allem aus ihrer klanglichen Disposition: Da der Bühnenraum vollständig mit Holz ausgeschlagen ist, läßt das Knallen auf den Bühnenboden den gesamten Theaterraum erschallen. Das ganze Theater wird so auch physisch zum Resonanzraum dieses Chorauftritts, der, obgleich weit von der Bühnenkante entfernt, den ganzen Theaterraum erfaßt, nicht nur auditiv, sondern geradezu körperräumlich.
    Währenddessen sind nach und nach alle Chormitglieder des Stücks auf die Vorderbühne getreten, und es haben sich fünf Gruppen gebildet, die man jetzt gleichzeitig hört: Ein Männer- und ein Frauenchor singen abwechselnd „Hojotoho–há“ (Ruf der Walküren in Wagners Ring der Nibelungen.) mit ansteigender Geschwindigkeit, so daß sie sich schließlich überlagern. Ein Kinderchor singt das Lied der Haßkappen („Haß macht Spaß“). Die Haßkappen haben ihre Schlagstöcke weggeworfen und sind mit der Kampfparole „Bayreuth brennt“ ebenfalls an die Bühnenrampe getreten. In diesen Stimmenkampf der verschiedenen Chorgruppen hinein erklingt wieder das bereits erwähnte Fanfaren-Motiv aus Parsifal. Nach dieser Szene, die von mehreren Auftritten der untoten Kundry-Figur unterbrochen wird, vereinen sich alle Chöre zu einem und singen das ,Gralsmotiv‘, während die Fanfaren wiederum das ,Liebesmotiv‘ spielen. Dies ist zum einen eine klangliche Radikalisierung, da sämtliche Chormitglieder an der Bühnenrampe stehen und ihre Stimmen das ganze Theater erfüllen, zum anderen aber auch inhaltlich, insofern es scheint, als würde der große, nunmehr aus allen Darstellern bestehende Chor, der Enthüllung des Grals – die ja hier nicht stattfindet –, nicht beiwohnen – wie die Gralsritter in WagnersParsifal –, sondern sie vielmehr fordern. Diese Haltung des Chores assoziiert die angeschlagene Gralsritterschaft, die zur Stärkung ihrer Gemeinschaft die Wiederaufnahme des Gralsritus fordert, der einzig Unverletzlichkeit und Unsterblichkeit garantieren kann. Wie auch in weiteren Szenen der Inszenierung, die Parsifal zitieren, tritt der Chor hier, im Gegensatz zu Wagner, an die Stelle des Orchesters. Ein Orchester gibt es an dieser Stelle nicht, einzige Instrumentierung dieser Szene ist das Piano. Die Blechbläser (Fanfaren) bilden eine eigene Chorgruppe. Die Übernahme musikalischer Partien durch den Chor in den Parsifal-Szenen geht so weit, daß nicht nur die Gralsritter als Chor in den Vordergrund treten, sondern auch die Stimme des Protagonisten vervielfältigt wird, wenn er zum Schluß seine Machtübernahme mit den Worten besiegelt: „Enthüllet den Gral“. {{15}} Die bei Wagner darauf folgende chorische Huldigung Parsifals als Erlöser hingegen fällt aus. Kein Gral, keine Substitution der Blutdroge, keine Erlösung.
    Wie der Chor in den Parsifal-Zitationen an die Stelle des Orchesters tritt, wird das Orchester in SchleefsGolem-Inszenierung durchgängig als Chor behandelt. Das wird auch in der räumlichen Anordnung deutlich, die der des Chors im Akademietheater gleicht. So umfassen auch die Spielorte des Orchesters den gesamten Theaterraum, indem sie von dem Rang, aus dem die ,Parsifal-Fanfaren‘ ertönen, bis zur Hinterbühne reichen. Das Orchester, derart als Chor behandelt, hat in diesem Theater genau wie der Chor keinen ihm eigenen Ort. Der fehlenden Orchestra korrespondiert in dieser Raumbehandlung die Abwesenheit des Orchestergrabens. Nicht der Bühne, also der Szene gegenüber, vor ihr oder gar unter ihr verborgen, unsichtbar in einen ,mystischen Abgrund‘ (Wagner) versenkt, spielt das Orchester, sondern: auf der Bühne, gegenüber den Zuschauern, sowie auf dem Rang, hinter den Zuschauern, der Bühne gegenüber. In der konsequenten Gleichbehandlung von Orchester und Chor, der räumlichen wie klanglichen Definition des Orchesters als Chor, wird also nicht zuletzt die Problematik eines im Theater nicht vorhandenen Chorraums deutlich.

    5. Wagner und Schleef – Die Ersetzung des Chors durch das Orchester und das Problem des Orchestergrabens

    In seinen Theaterarbeiten sowie in Droge Faust Parsifal – und hier insbesondere am Parsifal-Thema und seiner möglichen Umsetzung – problematisiert Schleef den Theaterraum immer wieder hinsichtlich des Verschwindens des Chors und der Abwesenheit eines expliziten Chorraums. In Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit Wagner ist zu fragen, inwiefern für Schleef die Positionierung des Orchesters im Musiktheater und insbesondere Wagners Lösung des Orchestergrabens ein Problem darstellt. In welchem Verhältnis stehen Orchester und Chor zueinander? Wie verhalten sich beide zu und in einem Theaterraum, der keinen Chorraum vorsieht? Wie plaziert man das Orchester in einem Theater, das nicht als Hörraum, sondern als reine Schauanlage konzipiert ist?
    Wagner löst das Problem der aus den Theaterräumen gestrichenen Orchestra, eines fehlenden Chorraums im Theater praktisch, indem er einen Graben zwischen Bühne und ,Cavea‘ (Wagner) zieht und so das Orchester optisch verschwinden läßt. Theoretisch behauptet er, in Oper und Drama, die vollständige, adäquate Ersetzung des Chors durch das nunmehr unsichtbare, moderne Orchester. Für Schleef stellt der Orchestergraben jedoch keine Lösung des Problems dar, sondern eine Verschärfung. Das Problem der Situierung des Orchesters in den als Schauräumen angelegten Theaterräumen, deren Tradition bis heute wirksam ist, ist auch für Schleef das zentrale Problem des Chorauftritts, die Frage nach einem Ort des Chors im Theater.
    In der erstmalig 1852 erschienenen Schrift Oper und Drama formuliert Wagner die theoretische Konzeption seines Musiktheaters in Absetzung von der zeitgenössischen Oper, in der der Chor zum gänzlich inhaltlosen Teil der Theaterapparatur herabgesunken sei und das Orchester mit der Übernahme der Gesangsmelodie nur mehr als Stimmverstärker aufgefaßt werde. Wagner plädiert für die jeweilige Eigenständigkeit von Stimme und Orchester, ,Wortsprache‘ und ,Tonsprache‘, und für die vollständige Abschaffung des herkömmlichen Opernchors. Die Bedeutung des Chors aber ist in Wagners Musiktheaterkonzeption auf das moderne Orchester übergegangen, das jenen fortan ästhetisch ersetzen soll. {{16}} Der Protagonist, respektive Sänger, sei als ,individuell menschliche Erscheinung‘ des Chors aus der Orchestra hinauf auf die Bühne gestiegen, als eine einzelne Stimme, die aus dem Orchester, dem ehemaligen Chor herausrage. Wagner beschreibt hier die Geburt des Protagonisten aus dem Chor und dessen zukünftige Ersetzung durch das Orchester: Die Orchestra wird zum Orchester. Wagner streicht damit nicht nur den Chor, sondern indem er die (ehemalige) Orchestra als Orchesterraum definiert, wird die Bühne zum alleinigen Darstellungsraum erhoben, als alleiniger Ort der Sichtbarkeit und der Kundgebung der individuellen menschlichen Stimme. Aufgrund dieser hier angedeuteten räumlichen Aufteilung kann das Orchester, wie im Bayreuther Festspielhaus realisiert, im Graben verschwinden. Daß die Unsichtbarmachung des Orchesters aber das theatrale Problem der Beziehung zwischen Graben und Bühne, die problematische Beziehung zwischen Sichtbarkeit und Hörbarkeit im Theater nicht löst, ist ein Punkt, den Einar Schleef in seinen Texten und Theaterarbeiten immer wieder bearbeitet.
    Warum also muß das von Wagner als moderner Nachfolger des antiken Chors definierte Orchester aus der Sichtbarkeit verschwinden? Zu welchem Zweck werden sichtbare Sänger von unsichtbarer Musik getrennt? Vor welchem gedanklichen Hintergrund wird der Graben zwischen Bühne und Zuschauerraum installiert?
    In seiner Rede zur Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses stellt Wagner das Verhältnis von Bühne und Zuschauerraum unter den Begriff der ,erhabenen Täuschung‘. Diese solle es ermöglichen, von jeglicher zwischen Bühne und Zuschauer gelegenen Realität abzusehen. Daher sieht Wagner sich genötigt, das Orchester unsichtbar zu machen. Aus dieser „Nötigung“ {{17}} ergibt sich die Abschaffung der Logenränge zugunsten einer ,Cavea‘-Form. Das Orchester als Störfaktor in der visuellen Wahrnehmung der Bild-Szene, als die Wagner die Bühne bestimmt, habe in der Versenkung zu verschwinden. Sein Auftrittsort ist jetzt die Rest-Orchestra, also der ehemalige Chorraum, welcher mit der Erfindung des Orchestergrabens endgültig aus dem sichtbaren Theaterraum gestrichen wird. Die Einrichtung des Orchestergrabens als inhaltlich nicht näher definiertem Zwischenraum zwischen Proszenium und den vorderen Sitzreihen des Publikums feiert Wagner als ,mystischen Abgrund‘, welcher ,Realität‘ und ,Idealität‘ zu trennen habe. Folgt man der Beschreibung dieser räumlichen Anordnung unter dem Gesichtspunkt der in Oper und Drama proklamierten Ersetzung des Chors durch das Orchester, bleibt zunächst die Merkwürdigkeit festzuhalten, daß Wagner den Bau seines Musiktheaters in erster Linie nach optischen Maßgaben einrichtet. Vom Hören ist in seinem Text zur Bayreuther Grundsteinlegung nicht viel die Rede, wenig auch von der Beziehung zwischen Orchester und Bühne. Die wichtigste Funktion des antiken Chors im Theater, die Veröffentlichung der gesprochenen Rede, kann dem in der Versenkung verschwundenen Orchester schwerlich zugeordnet werden. Das „Auseinanderdriften von Sprech- und Musiktheater“ {{18}}, das Schleef konstatiert, die Manifestation der Trennung von Sehen und Hören im Theater, die Wagner nolens volens vorantreibt, sind keine Abstrakta, sondern ganz konkrete Probleme, die sich dem Theater stellen, insbesondere dem Chortheater, das im Kern dieses Problems arbeitet. Die von Wagner angestrebte Ersetzung des Chors durch das unsichtbare Orchester bleibt für Schleef vor allem auch deshalb problematisch, weil Ausgangspunkt der Überlegungen Wagners, wie er selbst in seiner Rede sagt, seine ,Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ ist. Schleef liest mit und gegen Wagners Theaterentwurf, wenn er analysiert: „Musik ist Dämmerung“ {{19}} . Der Zustand der Dämmerung in Wagners Stücken definiere dessen „Gegenposition zur betonten Zentralperspektive im Bühnenraum“ {{20}}. Von der szenischen Anlage deutet gerade Wagners „Bühnenweihfestspiel“Parsifal, das in Schleefs Golem-Inszenierung auf mehreren Ebenen zitiert wird, auf das Schwinden des Sehsinns. Keine lichten Gestalten, „schattig und ernst“ ist es im Gralswald. Auch die Gralsburg scheint alles andere als ein Ort der Hellsichtigkeit, und gerade zum Ende hin, zur vorgeblichen Erlösung, wird die Szene immer finsterer. An deren permanenter Verdunkelung scheint Wagner geradezu zu arbeiten, Weiheakt und Tragödie sind im hell erleuchteten Bühnenkasten nicht abzubilden.
    Dunkel ist es auch in allen Parsifal-Zitaten in Golem. Die Inszenierung des Golem zeigt Schleefs Wagner-Rezeption auch als Revision, obwohl oder gerade weil er Wagner sehr genau liest. Schleef arbeitet auch hier an den Paradoxien der Theaterentwürfe Wagners: einerseits der vollständigen Ersetzung des antiken Chors durch das moderne Orchester und andererseits dessen Versenkung im Orchestergraben und damit letztlich Abschaffung eines Chorraums im Theater; einerseits die ,gänzliche Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ im Bayreuther Theaterbau und andererseits ständiges Ankämpfen gegen dieselben in der Konzeption der Stücke wie in Bühnenentwürfen; einerseits die Einführung der Arbeitsteilung zwischen Bühne und Orchestergraben und die nicht zuletzt durch das Verschwinden des Chorraums manifestierte Trennung von Sehen und Hören im Theater, und andererseits die vor allem in Oper und Drama formulierten Ideen zu einem synästhetischen Gesamtkunstwerk; letztlich auch das Problem der Gottabwesenheit und auf der anderen Seite der Versuch der Installation einer ,Kunstreligion‘, die ihren Höhepunkt in Parsifal findet, wo alle genannten Paradoxien zusammenzukommen scheinen. Das hier skizzierte Problem des Orchestergrabens ist für ein Theater, das die Arbeitsteilung weiterführt und die Trennung von Sehen und Hören nicht aufhebt, nicht zu lösen. Mit und gegen das große Vorbild Wagner arbeitet Schleefs Chortheater im Zentrum dieses Problems.

    [[4] Vgl. ebd., S. 392. [[4]]

    [[10]]ebd., S. 169[[10]]
    [[11]] im Nebentext als plurale Figur gekennzeichnet: „Es kommt ein, es kommen vielleicht sogar mehrere Taucher aus dem Boden“. In: Jelinek 1998., S. 167. [[11]]
    [[12]] Berkéwicz 1999, S. 10. Von dieser Fassung abweichender Aufführungstext ist mit * gekennzeichnet. [[12]]
    [[13]] Ebd., S. 14. [[13]]
    [[14]] Ebd., S. 61. [[14]]
    [[15]] Wagner 1950, S. 61. [[15]]
    [[16]] Vgl. Wagner1984, S. 349. [[16]]
    [[17]] Wagner, Richard: „Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth“. Hier zitiert nach: http://www.bayreuther-festspiele.de. [[17]]
    [[18]] Schleef 1997, S. 50. [[18]]
    [[19]] Ebd., S. 74 u.266 f. [[19]]
    [[20]] Ebd., S. 74. [

  11. efs Chortheater weist als grundsätzliche Befragung des Theaterraums auf ein Paradox hin, das dem europäischen Theater von Beginn an eingeschrieben scheint: Dem Chor als erster Figur des Theaters scheint in diesem kein eigentlicher Ort zuzukommen.Schleefs Arbeit an diesem Paradox soll im folgenden an vier exemplarischen Punkten nachgezeichnet werden: an seiner analytischen Beschreibung der tragischen Bühne als Szene ,VOR DEM PALAST‘, an der Fragilität der theatralen Orte in der Inszenierung Ein Sportstück, an der Definition des Orchesters als Chor in der Inszenierung Der Golem in Bayreuth und an Schleefs Wagner-Rezeption und dem Problem des Orchestergrabens.

    2. Elektra ,VOR DEM PALAST‘ – Die Gründung des Proszeniums

    Das antike Theater gründet in einem doppelten Raum-Problem: Zum einen ist das Proszenium als Ort des tragischen Protagonisten ein Un-Ort zwischen Skene und Orchestra, Palast und Chor. Die Tragödie zeigt den leidenden Protagonisten im Schwebezustand zwischen diesen beiden Orten, von denen er durch die Geschichte, die verlautbart wird, unwiderruflich getrennt ist. Der Ort, an dem dieses Getrenntsein sich mitteilt und erfahrbar wird, ist das Proszenium, das Schleef in seinem Essay Droge Faust Parsifal mit der Angabe ,VOR DEM PALAST‘ bezeichnet. Das zweite Problem ist das räumliche Verhältnis zwischen Chor und Protagonist – und damit auch zwischen Chor und Palast/Skene. Indem die Szene ,VOR DEM PALAST‘ sich zwischen Palast und Chorraum schiebt, kann das Proszenium auch als Barriere zwischen Orchestra und Skene aufgefaßt werden. Das heißt nicht nur der auf der tragischen Szene ausgesetzte Protagonist entfernt sich durch sein Hervortreten vom Zentrum der Macht, auch der Chor wird durch die Errichtung des Proszeniums von dem Palast abgeschnitten, als dessen ,eigentlichen Bauherren‘ ihn Schleef beschreibt. [1]
    ,VOR DEM PALAST‘ tritt nicht nur die grundlegende Spaltung zwischen Chor und Protagonist, Protagonist und Palast hervor. Indem die Orchestra nach der Errichtung des Proszeniums nicht mehr gemeinsamer Auftrittsort von Chor und Schauspieler ist, zeigt sich, daß auch die Herkunft der Chor-Figur eine andere ist. Schleef schreibt, sie gehöre eher zur „Bühnenlandschaft“, sie sei vielmehr selbst Landschaft. Doch diese Landschaft in ihrer „ursprünglichen, heilenden Bedeutung“ [2] so Schleef, als Ort, an dem „sich das Individuum von seinen Schmerzen lösen könnte“[3], scheint in den Tragödien allenfalls im Konjunktiv auf. Die Landschaft, aus der der Chor hier kommt, um vor den Toren des Palasts zu klagen, ist keine unzerstörte Idylle. Grund der Versammlung des Chors vor dem Palast – im Theater, in der Orchestra – ist in den antiken Tragödien stets eine existentielle Bedrohung: Krieg, Terror, Rechtsbruch. Politischer Grund des Auftritts der Chor-Figur auf dem Theater ist es, diese Situation zu veröffentlichen, auf dem Theater zu verhandeln. Meist gibt es keine Lösung des Konflikts, zumindest keine friedliche, das heißt: keine Lösung ohne Opfer. Davon sprechen die Tragödien, in denen, so Schleef, noch das Menschenopfer erinnert werde. [4] Droge Faust Parsifal definiert die Bühne der antiken Tragödie als Szene ,VOR DEM PALAST‘:

    VOR DEM PALAST, das ist die antike Konstellation, das ist das antike Bühnenbild, das ist die Voraussetzung für den Individualisierungsprozeß, das ist das Zeichen für das bevorstehende Opfer, das ist das Zeichen für die Entzweiung der Figuren, der Menschen untereinander. [5]

    Die paradigmatische Figur, an der Schleef die ,antike Konstellation‘ als Szene ,VOR DEM PALAST‘ beschreibt, ist Elektra. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind der zweite Teil der Orestie Die Choephoren / Die Grabspenderinnen sowie die sophokleische Elektra. Aischylos’ Stück hat einen wesentlich höheren Chor-Anteil, worauf schon der Titel schließen läßt, während Sophokles Elektra im eigentlichen Sinn aufs Proszenium stellt, indem er die Szene ,VOR DEM PALAST‘ definiert. Da Droge Faust Parsifal die unterschiedlichen theatralen Versionen des Elektra-Stoffs vermischt, sollen diese hier im Hinblick auf das Verhältnis von Chor und Protagonist kurz skizziert werden.
    Nach der Ermordung Agamemnons durch Klytämnestra und Aigisth verweigert Elektra ein einvernehmliches Leben mit den neuen Machthabern, den Mördern ihres Vaters. Plötzlich kommt Orest, der von der Mutter verbannte Bruder Elektras, zurück nach Mykene. Unter Strafandrohung bei Unterlassung hat er, so Aischylos, von Apoll den Auftrag bekommen, den Vatermord zu rächen. Die Szene beginnt in den Choephoren am Grab Agamemnons, wo der Chor die Wiederherstellung der genealogischen Ordnung und die Beendigung der unrechtmäßigen, tyrannischen Herrschaft Aigisths fordert. Gemeinsam bitten Chor, Elektra und Orest die chtonischen (Erd-)Götter um Unterstützung bei der Ausführung der Rache. In der Mitte des Stücks wechselt der Schauplatz vom Grabhügel zum Palast. Orest gelangt mittels einer List in den Palast und führt den Rachemord durch. Elektra tritt nicht mehr auf.
    In Sophokles’ Elektra hingegen ist sie die ganze Zeit auf der Bühne, das heißt ,VOR DEM PALAST‘, in den sie es ablehnt zurückzukehren.

    Doch nein! nie werd ich für die künftige Zeit
    Im Haus mit denen leben, sondern hier am Tor,
    Dahingesunken, möge ohne Freund
    Das Leben mir verdorren! [6]

    Sophokles’ Elektra ist es, die den Ort ,VOR DEM PALAST‘ benennt, den sie während des ganzen Stückes nicht verläßt. Im Gegensatz zu den Choephoren ist es hier auch Elektra, die Orest verstärkt zur Rachetat antreibt. Der Chor drängt nicht auf Wiederherstellung der legitimen väterlichen Ordnung, sondern hält Elektra zur Mäßigung an. Bei Aischylos wie bei Sophokles ist Elektra eine gekrümmte Figur, sie behält die am Grab des Vaters eingenommene Haltung bei. Ihr Ort ist am Boden vor dem Palast, aus dem sie ausgestoßen ist beziehungsweise in den sie sich weigert, wieder einzutreten. Obwohl sie die Tat nicht ausführt, ist Sophokles’ Elektra die große Rachefigur, indem sie Orest zum Mord antreibt, dessen Auftrag nun, anders als in den Choephoren, kein göttlicher mehr ist, sondern ein selbstgegebener. Diese Dimension der Elektra-Figur wird von ihrer ununterbrochenen Präsenz in der Szene bekräftigt, während ihr Drama bei Aischylos mit der Ankunft des Bruders zuende ist.
    Elektra bleibe, so Schleef, eine „schwierige Figur“, „wie die Waffe, der das Geschoß fehlt, aber deren Existenz sowohl Schuß als auch Treffer imaginieren läßt.“ [7] (Schleef 1997, S. 266.) Von der „übermächtigen Bindung an die untergegangenen Figuren erdrückt“ [8], gibt Elektra ihren Thronanspruch auf und verharrt am Boden vor den Toren des Palasts. Mit dieser Geste der Unterlassung gründet sie das Proszenium, den Ort ,VOR DEM PALAST‘, als Unort, der sich ex negativodefiniert: Er ist nicht Palast, nicht Landschaft, nicht Orchestra. Dieser Ort, der weder Skene noch Orchestra ist, wird zum Ort der Klage des tragischen Protagonisten, zu dem Ort, der den Konflikt anzeigt und ausspricht.
    Mit der Errichtung des Proszeniums auf dem Theater muß der Chor notwendig vom Palast wegrücken. Das Proszenium ist somit nicht nur Auftrittsort des tragischen Protagonisten, sondern auch Barriere zwischen Chor und Palast, Orchestra und Skene. Diese räumliche Trennung von Chorraum und Skene bezeichnet den „Chor-Riß“, als welchen Schleef die irreversible Trennung der Einzelfigur vom Chor beschreibt, deren Tragödie sich „demnach nur im Wechsel mit dem Chor“ abbilden lasse. [9]
    Der Chor, einst Zentrum des Theaters, in das er, von außen kommend, feierlich eingezogen ist, findet im Proszenium seine Grenze, die er nicht überschreiten kann. Das Proszenium, das in der Folge immer größer wird und schließlich die Bühne ganz einnimmt, steht mehr und mehr gegen die Orchestra, die immer kleiner wird und letztlich ganz aus dem Theater verschwindet – wie der Chor.

    3. ,Unter dem Eindruck der Tragödie‘ – Ein Sportstück

    In der Uraufführung von Elfriede Jelineks Sportstück, 1998 am Burgtheater, gibt es keinen Palast und keine Orchestra. Dem korrespondiert die grundsätzliche Abwesenheit protagonistischer Figuren. Die Bühne ist zumeist in rampenparallele, beleuchtete und nicht-beleuchtete Streifen eingeteilt, was die Fragilität der Auftrittsorte sowie den Status der Figuren kennzeichnet. Die Orte des Chors sowie der einzeln auftretenden Figuren werden mittels Licht hergestellt. So erinnert der erleuchtete Teil der Vorderbühne bis zur Bühnenkante an die im Theater nicht vorhandene Orchestra, und für den Auftritt der Einzelfigur markiert ein parallel zur Rampe verlaufender Lichtsteg unter dem Eisernen Vorhang das Proszenium.
    Als Figur der Frage, dem Publikum direkt zugewandt, tritt der große Chor in der von Schleef sogenannten ,mäßigen Chorkleidung‘ (Hier: bodenlange, weite schwarze Kutten, die nur Gesicht und Hände der Chormitglieder zu sehen geben.) an die Bühnenrampe. Dieser Ort ist in der Inszenierung als expliziter Ort des sprechenden Chors markiert, in dem er, hell erleuchtet und halbrund mit der Kante der Vorderbühne abschließend, auf das Fehlen einer Orchestra, eines Chorraums im Theater, aufmerksam macht. Hier tritt in der Inszenierung der sowohl inhaltlich wie auch klanglich vielfältigste Chor auf. Diesem ersten Auftritt des Chores geht die lange Rede einer Frauenfigur voraus, eine Ansprache der Mutter an den abwesenden Sohn, der Opfer des von ihm betriebenen Leistungssports werden wird. Daß diese Figur keine tragische Protagonistin ist, sondern allenfalls „unter dem Eindruck der Tragödie“ [7] steht, wie es in Ein Sportstück heißt, verdeutlicht die Bühnenbeleuchtung: Das Proszenium, markiert durch den Lichtstreifen, kann jederzeit verschwinden. An diesem fragilen Ort hält die Mutter ihre Anklage – an den Sohn, der sie verlassen hat, an den Sport, der ihr den Sohn geraubt hat. Nach ihrer Ansprache pfeift sie zum Wettkampf, worauf 47 Chormitglieder an der Frau vorbei bis zur Rampe laufen, wo sie dicht aneinander gedrängt stehen bleiben. Der gesamte Bühnenboden ist jetzt wieder in das schon beschriebene Lichtmuster eingeteilt. Der Teil der Vorderbühne, auf dem der Chor steht, ist hell erleuchtet. Der Lichtstreifen auf der Höhe des Eisernen Vorhangs, wo die Mutter steht, ist nunmehr ein Lichtstreifen unter vielen, womit das vorherige Proszenium verschwunden ist.
    Schleefs Sportstück-Inszenierung konfrontiert zwei Szenen aus Hugo von Hofmannsthals Elektra mit Jelineks Figur der Elfie Elektra, die als Chor und jenseits der Sichtbarkeit auftritt. Elfie Elektra aus Jelineks Sportstück ist keine protagonistische Figur. Ihre „Programmversionen“ hat sie sich „angelesen wie ein Dieb“ [8], heißt es im Stück. Aus ihr spricht nicht nur die Elektra-Figur, die die Lücke in der Genealogie beklagt und Rache für den Vatermord ankündigt, sondern ebenso die Stimmen derjenigen, die mit den Toten nichts zu tun haben wollen. Ihre Rede ist in sich vielstimmig, das heißt, sie verweist nicht auf die Fiktion einer personalen Figur, die mit einer einheitlichen, in sich konsistenten Stimme sprechen würde. Im Gegensatz zur Figur der Elektra, die, obwohl Besiegte, wie alle Elektra-Versionen bis zu Hofmannsthal zeigen, die Schichten ihres Besiegtseins vergessen machend, als Figur der Rache auftritt, hat Elfie Elektra an Kraft verloren. Der Entschluß zum „Krieg gegen Mama“ [9] wird als Haltung nicht durchgeführt. Von dieser Unterlassung spricht der Text des Elfie-Elektra-Chores, der Klage, Anklage, Selbstanklage, aber nicht Racheankündigung ist. ( „Ihre Pfeile sind verschossen, ohne daß auch nur einer getroffen hätte“, heißt es entsprechend im Text des Matrosen-Chores {{10}} .) Elfie Elektra, die die Elektra-Geschichte mit sich trägt, aber eine längst Besiegte ist, ist als Figur nicht an Sichtbarkeit geknüpft. Dieser Figur entspricht im Bühnenraum kein noch so prekäres Proszenium. In der Inszenierung tritt Elfie Elektra als nur akustisch vernehmbare Chor-Figur auf der nicht einsehbaren Hinterbühne auf.
    Der Chor der Matrosen – in Jelineks Text „Der Taucher“ {{11}} –, der sich als Elfie Elektras Bruder zu erkennen gibt, ist im Gegensatz dazu extrem in der Sichtbarkeit organisiert. Aus der Unterbühne kommend beendet der Matrosen-Chor, diese vielgestaltige Wiedergänger-Figur des Orest, eine Szene zwischen Elektra und Chrysothemis aus Hofmannsthals Stück. Auf die falsche Nachricht von Orests Tod beschließt Elektra, den Rachemord notfalls auch alleine auszuführen. Die Körper der Matrosen, von der Unterbühne beleuchtet, werfen bereits riesige Schatten an die Brandmauer. Schließlich beginnt der Matrosenchor, die beiden Schwestern übertönend, zu sprechen. Diese brutale Beendigung der Elektra-Szene spiegelt sich im Text der Matrosen, der von der umfassenden Besiegtheit der Elektra-Figur spricht. Die Vorderbühne wird bis zur Rampe hell erleuchtet, und die Riege der Matrosen nimmt den bis dahin leeren Ort an der Bühnenkante ein, der die Orchestra erinnert.
    Nach Ende ihres Textes marschieren die Matrosen zu dem Ort auf der Bühne zurück, an dem sie zuvor ‚aufgetaucht‘ sind. Während der ganzen Zeit, in der der nicht-sichtbare Elfie-Elektra-Chor spricht, bleibt der Matrosen-Chor als Schattenfigur dort stehen. Die stimmliche Präsenz des Elfie-Elektra-Chores, der nicht sichtbar ist, beherrscht nun die Szene. Der Merkwürdigkeit der leeren Vorderbühne während der Elfie-Elektra-Rede entspricht der schweigende Matrosen-Chor, der in der Position des Zuhörers erstarrt ist. Während er als Schattenfigur, die nicht abtreten kann, auf der Bühne steht, beherrscht der nicht zu sehende Elfie-Elektra-Chor, der klanglich viel variantenreicher ist als der Matrosen-Chor, die Szene auf ganz andere Weise. Indem diese Szene auf der visuellen Ebene stillsteht, wird der Theaterraum hier in erster Linie Klangraum. Darüber hinaus verstärkt das chorische Sprechen Elfie Elektras, indem es sich dem Auge entzieht, den Umstand, daß der Chor viel mehr mit dem Gehörtwerden verknüpft ist als mit dem Auftreten im Feld der Sichtbarkeit.

    4. Theaterraum als Chorraum und Orchester als Chor – Der Golem in Bayreuth

    1999 inszeniert Schleef am Burgtheater das ,Musiktheaterspiel‘Der Golem in Bayreuth von Ulla Berkéwicz. Das Stück verbindet die Legende des Golem, einer verlebendigten Figur aus Lehm, die Rabbi Löw gemäß der Kabbala um 1600 in Prag geschaffen haben soll, mit Wagners Version des Parzival-Mythos, die 1882 im Bayreuther Festspielhaus als „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal zur Uraufführung kam. Auf der Textebene wird eine Linie von der in einem Akt der Hybris geschaffenen Figur des Golem zu den ,denkenden Maschinen‘ und perfekten Körpern behauptet, an deren Vision zeitgenössische Kybernetiker und Gentechniker arbeiten. Doch die von Menschenhand geschaffenen, seelenlosen Geschöpfe, so die These des Stücks, sind nur scheinbar kontrollierbar und haben längst begonnen, ihrerseits den Menschen zu beherrschen.
    Als ,Stück im Stück‘ ist in Golem die Aufführung des Parsifal szenischer Anlaß der Versammlung der Bayreuther Festspielgesellschaft. Das Festspielhaus wird jedoch von einer Gruppe gewalttätiger Jugendlicher besetzt, die drohen, das Theater abzubrennen. In dieser vom Stücktext vage als neonazistisch skizzierten Gruppierung der ,Haßkappen‘ scheint sowohl die Angstfigur des Golem wiederzukehren wie auch Parsifal, der vorgeblich ,reine Tor‘. Parsifal selbst, musikalisch extrem anwesend in der Inszenierung, tritt als Protagonist nicht mehr auf. Das Stück zeichnet sich überhaupt durch die strukturelle Abwesenheit protagonistischer Figuren aus. Als einzige Einzelfigur hat der Golem keine Sprechstimme. Zwar wird er, wie die Legende sagt, mittels eines ihm in die Stirn gesteckten Zettels, auf dem der unaussprechliche Name Gottes steht, zum Leben erweckt. Paradoxer Weise bleibt er jedoch eine sprachlose Figur. Der Golem scheint allenfalls in der vielstimmigen Wiedergänger-Figur der Haßkappen zur Sprache zu kommen, mit der er sich nach und nach verbündet.
    Bereits der Stücktext etabliert also eine grundsätzlich chorische Struktur. So ragen zwar einzelne Stimmen punktuell aus den chorischen Zusammenhängen heraus, treten jedoch nicht von diesen losgelöst auf. Schleefs Inszenierung greift diese chorische Struktur auf und radikalisiert sie in mehrfacher Hinsicht. Mit der Verabschiedung des Protagonisten bleibt als einzige theatrale Form die Chor-Szene, was sich nicht zuletzt auf die Behandlung des Theaterraums auswirkt.
    Einar Schleefs Golem-Inszenierung ist auch und vor allem eine grundsätzliche Befragung des Theaterraums in Hinblick auf einen Ort des Chors im Theater. Die große Frage, die sich gerade angesichts dieser durchgängig chorischen Inszenierung stellt, ist, ob es überhaupt einen Ort des Chors im Theater gibt. Da Golem ein Musical ist, muß die Frage gestellt werden, wie sich das Orchester zum Chor positioniert. Welche Stellung nimmt das Orchester in einem Theater ohne Chorraum und ohne Orchestergraben ein?
    Von Beginn an ist die Inszenierung durch den gleichzeitigen Auftritt verschiedener Chöre gekennzeichnet. Nach dem Einlaß tritt Einar Schleef als Stadtrat von Bayreuth in den Zuschauerraum, der wie die Bühne hell erleuchtet ist. Der Stadtrat erklärt dem Publikum die Bedrohung von Seiten der Haßkappen, die auf den Straßen einen Bürgerkrieg führen und dem Theater immer näher rücken. „Trotzdem“, so der Stadtrat, „der Aufführung des Parsifal heute wünschen wir gutes Gelingen“. {{12}}Der Chor der Festspielgesellschaft tritt an die Bühnenkante, und es beginnt ein elegischer, kakophonischer Gesang. Dieser Chor, der hier die Festspielgesellschaft vor der Aufführung des Parsifaldarstellt, wird sich später zum Orchester formieren. Das Orchester ist so bereits als Mitspieler und das heißt: als Chor definiert. Plötzlich stürmt eine Gruppe schwarz gekleideter, mit Schlagstöcken bewaffneter Männer und Frauen durch den Zuschauerraum bis zur Bühnenrampe. Der Stadtrat schreit in die beiden gleichzeitigen Chöre hinein: „Wogegen protestieren Sie? Was wollen Sie?“ {{13}}, wird aber von Pfiffen und „Bier“-Rufen der Haßkappen übertönt. Die Streitszene zwischen Stadtrat und Haßkappen findet inmitten des Publikums statt, dessen Ort von diesem Konflikt durchzogen beziehungsweise gespalten wird. Räumlich eingefaßt wird das Publikum und mit ihm die Szene des Konflikts von der jetzt schweigenden Chorriege auf der Bühne und den an die Parsifal-Aufführung erinnernden Blechbläsern auf dem Rang, die das ,Verwandlungsmotiv‘ aus Parsifal intonieren. Den fiktiven Ort des Gasthauses gibt es in der Inszenierung nicht, alles findet im Theater statt. So wird die Konfrontation der verschiedenen Gruppen in der Inszenierung nicht nur theatralisiert, sondern auch verschärft: durch das Gegenüber von der Festspielgesellschaft als Chor auf der Bühne und den Haßkappen als Gegenchor im Parkett, aber auch weil sich alles in einem Raum und mitten unter den Zuschauern abspielt, die durch die Ansprache des Stadtrats von Bayreuth und die räumliche Anordnung gleichsam zu Mitgliedern der Festspielgesellschaft geworden sind. Das Theater als realer Ort der Zusammenkunft wird somit zum Verhandlungsraum, in dem das, was auf dem Theater stattfindet, zuallererst verhandelt werden muß.
    Eine weitere konfrontative Szene, in der verschiedene Chöre gegeneinander antreten, gibt es gegen Ende der Aufführung: Die Haßkappen postieren sich an der Bühnenrückwand und wiederholen ihre eingangs vom Stadtrat zitierte Kriegserklärung gegen Stadt, Staat und Festspielhaus. Die Szene spielt bei minimaler Beleuchtung, wie überhaupt weite Teile der Inszenierung, die sich dadurch vor allem als ein Theater der Stimmen kennzeichnet. Einzige Lichtquelle ist hier ein in der Mitte der Bühnenrampe lokalisierter Scheinwerfer. Man sieht den übergroßen Schatten des Golem und die unheimliche schwarze Riege der Haßkappen als Schattenfiguren. „Das Festspielhaus brennt“ {{14}} , skandieren sie und schlagen in einem vom Chorführer angegebenen Takt mit ihren Schlagstöcken auf den Bühnenboden. Die Bedrohlichkeit der Szenerie ergibt sich vor allem aus ihrer klanglichen Disposition: Da der Bühnenraum vollständig mit Holz ausgeschlagen ist, läßt das Knallen auf den Bühnenboden den gesamten Theaterraum erschallen. Das ganze Theater wird so auch physisch zum Resonanzraum dieses Chorauftritts, der, obgleich weit von der Bühnenkante entfernt, den ganzen Theaterraum erfaßt, nicht nur auditiv, sondern geradezu körperräumlich.
    Währenddessen sind nach und nach alle Chormitglieder des Stücks auf die Vorderbühne getreten, und es haben sich fünf Gruppen gebildet, die man jetzt gleichzeitig hört: Ein Männer- und ein Frauenchor singen abwechselnd „Hojotoho–há“ (Ruf der Walküren in Wagners Ring der Nibelungen.) mit ansteigender Geschwindigkeit, so daß sie sich schließlich überlagern. Ein Kinderchor singt das Lied der Haßkappen („Haß macht Spaß“). Die Haßkappen haben ihre Schlagstöcke weggeworfen und sind mit der Kampfparole „Bayreuth brennt“ ebenfalls an die Bühnenrampe getreten. In diesen Stimmenkampf der verschiedenen Chorgruppen hinein erklingt wieder das bereits erwähnte Fanfaren-Motiv aus Parsifal. Nach dieser Szene, die von mehreren Auftritten der untoten Kundry-Figur unterbrochen wird, vereinen sich alle Chöre zu einem und singen das ,Gralsmotiv‘, während die Fanfaren wiederum das ,Liebesmotiv‘ spielen. Dies ist zum einen eine klangliche Radikalisierung, da sämtliche Chormitglieder an der Bühnenrampe stehen und ihre Stimmen das ganze Theater erfüllen, zum anderen aber auch inhaltlich, insofern es scheint, als würde der große, nunmehr aus allen Darstellern bestehende Chor, der Enthüllung des Grals – die ja hier nicht stattfindet –, nicht beiwohnen – wie die Gralsritter in WagnersParsifal –, sondern sie vielmehr fordern. Diese Haltung des Chores assoziiert die angeschlagene Gralsritterschaft, die zur Stärkung ihrer Gemeinschaft die Wiederaufnahme des Gralsritus fordert, der einzig Unverletzlichkeit und Unsterblichkeit garantieren kann. Wie auch in weiteren Szenen der Inszenierung, die Parsifal zitieren, tritt der Chor hier, im Gegensatz zu Wagner, an die Stelle des Orchesters. Ein Orchester gibt es an dieser Stelle nicht, einzige Instrumentierung dieser Szene ist das Piano. Die Blechbläser (Fanfaren) bilden eine eigene Chorgruppe. Die Übernahme musikalischer Partien durch den Chor in den Parsifal-Szenen geht so weit, daß nicht nur die Gralsritter als Chor in den Vordergrund treten, sondern auch die Stimme des Protagonisten vervielfältigt wird, wenn er zum Schluß seine Machtübernahme mit den Worten besiegelt: „Enthüllet den Gral“. {{15}} Die bei Wagner darauf folgende chorische Huldigung Parsifals als Erlöser hingegen fällt aus. Kein Gral, keine Substitution der Blutdroge, keine Erlösung.
    Wie der Chor in den Parsifal-Zitationen an die Stelle des Orchesters tritt, wird das Orchester in SchleefsGolem-Inszenierung durchgängig als Chor behandelt. Das wird auch in der räumlichen Anordnung deutlich, die der des Chors im Akademietheater gleicht. So umfassen auch die Spielorte des Orchesters den gesamten Theaterraum, indem sie von dem Rang, aus dem die ,Parsifal-Fanfaren‘ ertönen, bis zur Hinterbühne reichen. Das Orchester, derart als Chor behandelt, hat in diesem Theater genau wie der Chor keinen ihm eigenen Ort. Der fehlenden Orchestra korrespondiert in dieser Raumbehandlung die Abwesenheit des Orchestergrabens. Nicht der Bühne, also der Szene gegenüber, vor ihr oder gar unter ihr verborgen, unsichtbar in einen ,mystischen Abgrund‘ (Wagner) versenkt, spielt das Orchester, sondern: auf der Bühne, gegenüber den Zuschauern, sowie auf dem Rang, hinter den Zuschauern, der Bühne gegenüber. In der konsequenten Gleichbehandlung von Orchester und Chor, der räumlichen wie klanglichen Definition des Orchesters als Chor, wird also nicht zuletzt die Problematik eines im Theater nicht vorhandenen Chorraums deutlich.

    5. Wagner und Schleef – Die Ersetzung des Chors durch das Orchester und das Problem des Orchestergrabens

    In seinen Theaterarbeiten sowie in Droge Faust Parsifal – und hier insbesondere am Parsifal-Thema und seiner möglichen Umsetzung – problematisiert Schleef den Theaterraum immer wieder hinsichtlich des Verschwindens des Chors und der Abwesenheit eines expliziten Chorraums. In Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit Wagner ist zu fragen, inwiefern für Schleef die Positionierung des Orchesters im Musiktheater und insbesondere Wagners Lösung des Orchestergrabens ein Problem darstellt. In welchem Verhältnis stehen Orchester und Chor zueinander? Wie verhalten sich beide zu und in einem Theaterraum, der keinen Chorraum vorsieht? Wie plaziert man das Orchester in einem Theater, das nicht als Hörraum, sondern als reine Schauanlage konzipiert ist?
    Wagner löst das Problem der aus den Theaterräumen gestrichenen Orchestra, eines fehlenden Chorraums im Theater praktisch, indem er einen Graben zwischen Bühne und ,Cavea‘ (Wagner) zieht und so das Orchester optisch verschwinden läßt. Theoretisch behauptet er, in Oper und Drama, die vollständige, adäquate Ersetzung des Chors durch das nunmehr unsichtbare, moderne Orchester. Für Schleef stellt der Orchestergraben jedoch keine Lösung des Problems dar, sondern eine Verschärfung. Das Problem der Situierung des Orchesters in den als Schauräumen angelegten Theaterräumen, deren Tradition bis heute wirksam ist, ist auch für Schleef das zentrale Problem des Chorauftritts, die Frage nach einem Ort des Chors im Theater.
    In der erstmalig 1852 erschienenen Schrift Oper und Drama formuliert Wagner die theoretische Konzeption seines Musiktheaters in Absetzung von der zeitgenössischen Oper, in der der Chor zum gänzlich inhaltlosen Teil der Theaterapparatur herabgesunken sei und das Orchester mit der Übernahme der Gesangsmelodie nur mehr als Stimmverstärker aufgefaßt werde. Wagner plädiert für die jeweilige Eigenständigkeit von Stimme und Orchester, ,Wortsprache‘ und ,Tonsprache‘, und für die vollständige Abschaffung des herkömmlichen Opernchors. Die Bedeutung des Chors aber ist in Wagners Musiktheaterkonzeption auf das moderne Orchester übergegangen, das jenen fortan ästhetisch ersetzen soll. {{16}} Der Protagonist, respektive Sänger, sei als ,individuell menschliche Erscheinung‘ des Chors aus der Orchestra hinauf auf die Bühne gestiegen, als eine einzelne Stimme, die aus dem Orchester, dem ehemaligen Chor herausrage. Wagner beschreibt hier die Geburt des Protagonisten aus dem Chor und dessen zukünftige Ersetzung durch das Orchester: Die Orchestra wird zum Orchester. Wagner streicht damit nicht nur den Chor, sondern indem er die (ehemalige) Orchestra als Orchesterraum definiert, wird die Bühne zum alleinigen Darstellungsraum erhoben, als alleiniger Ort der Sichtbarkeit und der Kundgebung der individuellen menschlichen Stimme. Aufgrund dieser hier angedeuteten räumlichen Aufteilung kann das Orchester, wie im Bayreuther Festspielhaus realisiert, im Graben verschwinden. Daß die Unsichtbarmachung des Orchesters aber das theatrale Problem der Beziehung zwischen Graben und Bühne, die problematische Beziehung zwischen Sichtbarkeit und Hörbarkeit im Theater nicht löst, ist ein Punkt, den Einar Schleef in seinen Texten und Theaterarbeiten immer wieder bearbeitet.
    Warum also muß das von Wagner als moderner Nachfolger des antiken Chors definierte Orchester aus der Sichtbarkeit verschwinden? Zu welchem Zweck werden sichtbare Sänger von unsichtbarer Musik getrennt? Vor welchem gedanklichen Hintergrund wird der Graben zwischen Bühne und Zuschauerraum installiert?
    In seiner Rede zur Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses stellt Wagner das Verhältnis von Bühne und Zuschauerraum unter den Begriff der ,erhabenen Täuschung‘. Diese solle es ermöglichen, von jeglicher zwischen Bühne und Zuschauer gelegenen Realität abzusehen. Daher sieht Wagner sich genötigt, das Orchester unsichtbar zu machen. Aus dieser „Nötigung“ {{17}} ergibt sich die Abschaffung der Logenränge zugunsten einer ,Cavea‘-Form. Das Orchester als Störfaktor in der visuellen Wahrnehmung der Bild-Szene, als die Wagner die Bühne bestimmt, habe in der Versenkung zu verschwinden. Sein Auftrittsort ist jetzt die Rest-Orchestra, also der ehemalige Chorraum, welcher mit der Erfindung des Orchestergrabens endgültig aus dem sichtbaren Theaterraum gestrichen wird. Die Einrichtung des Orchestergrabens als inhaltlich nicht näher definiertem Zwischenraum zwischen Proszenium und den vorderen Sitzreihen des Publikums feiert Wagner als ,mystischen Abgrund‘, welcher ,Realität‘ und ,Idealität‘ zu trennen habe. Folgt man der Beschreibung dieser räumlichen Anordnung unter dem Gesichtspunkt der in Oper und Drama proklamierten Ersetzung des Chors durch das Orchester, bleibt zunächst die Merkwürdigkeit festzuhalten, daß Wagner den Bau seines Musiktheaters in erster Linie nach optischen Maßgaben einrichtet. Vom Hören ist in seinem Text zur Bayreuther Grundsteinlegung nicht viel die Rede, wenig auch von der Beziehung zwischen Orchester und Bühne. Die wichtigste Funktion des antiken Chors im Theater, die Veröffentlichung der gesprochenen Rede, kann dem in der Versenkung verschwundenen Orchester schwerlich zugeordnet werden. Das „Auseinanderdriften von Sprech- und Musiktheater“ {{18}}, das Schleef konstatiert, die Manifestation der Trennung von Sehen und Hören im Theater, die Wagner nolens volens vorantreibt, sind keine Abstrakta, sondern ganz konkrete Probleme, die sich dem Theater stellen, insbesondere dem Chortheater, das im Kern dieses Problems arbeitet. Die von Wagner angestrebte Ersetzung des Chors durch das unsichtbare Orchester bleibt für Schleef vor allem auch deshalb problematisch, weil Ausgangspunkt der Überlegungen Wagners, wie er selbst in seiner Rede sagt, seine ,Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ ist. Schleef liest mit und gegen Wagners Theaterentwurf, wenn er analysiert: „Musik ist Dämmerung“ {{19}} . Der Zustand der Dämmerung in Wagners Stücken definiere dessen „Gegenposition zur betonten Zentralperspektive im Bühnenraum“ {{20}}. Von der szenischen Anlage deutet gerade Wagners „Bühnenweihfestspiel“Parsifal, das in Schleefs Golem-Inszenierung auf mehreren Ebenen zitiert wird, auf das Schwinden des Sehsinns. Keine lichten Gestalten, „schattig und ernst“ ist es im Gralswald. Auch die Gralsburg scheint alles andere als ein Ort der Hellsichtigkeit, und gerade zum Ende hin, zur vorgeblichen Erlösung, wird die Szene immer finsterer. An deren permanenter Verdunkelung scheint Wagner geradezu zu arbeiten, Weiheakt und Tragödie sind im hell erleuchteten Bühnenkasten nicht abzubilden.
    Dunkel ist es auch in allen Parsifal-Zitaten in Golem. Die Inszenierung des Golem zeigt Schleefs Wagner-Rezeption auch als Revision, obwohl oder gerade weil er Wagner sehr genau liest. Schleef arbeitet auch hier an den Paradoxien der Theaterentwürfe Wagners: einerseits der vollständigen Ersetzung des antiken Chors durch das moderne Orchester und andererseits dessen Versenkung im Orchestergraben und damit letztlich Abschaffung eines Chorraums im Theater; einerseits die ,gänzliche Unterwerfung unter die Gesetze der Perspektive‘ im Bayreuther Theaterbau und andererseits ständiges Ankämpfen gegen dieselben in der Konzeption der Stücke wie in Bühnenentwürfen; einerseits die Einführung der Arbeitsteilung zwischen Bühne und Orchestergraben und die nicht zuletzt durch das Verschwinden des Chorraums manifestierte Trennung von Sehen und Hören im Theater, und andererseits die vor allem in Oper und Drama formulierten Ideen zu einem synästhetischen Gesamtkunstwerk; letztlich auch das Problem der Gottabwesenheit und auf der anderen Seite der Versuch der Installation einer ,Kunstreligion‘, die ihren Höhepunkt in Parsifal findet, wo alle genannten Paradoxien zusammenzukommen scheinen. Das hier skizzierte Problem des Orchestergrabens ist für ein Theater, das die Arbeitsteilung weiterführt und die Trennung von Sehen und Hören nicht aufhebt, nicht zu lösen. Mit und gegen das große Vorbild Wagner arbeitet Schleefs Chortheater im Zentrum dieses Problems.

    [[4] Vgl. ebd., S. 392. [[4]]

    [[10]]ebd., S. 169[[10]]
    [[11]] im Nebentext als plurale Figur gekennzeichnet: „Es kommt ein, es kommen vielleicht sogar mehrere Taucher aus dem Boden“. In: Jelinek 1998., S. 167. [[11]]
    [[12]] Berkéwicz 1999, S. 10. Von dieser Fassung abweichender Aufführungstext ist mit * gekennzeichnet. [[12]]
    [[13]] Ebd., S. 14. [[13]]
    [[14]] Ebd., S. 61. [[14]]
    [[15]] Wagner 1950, S. 61. [[15]]
    [[16]] Vgl. Wagner1984, S. 349. [[16]]
    [[17]] Wagner, Richard: „Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth“. Hier zitiert nach: http://www.bayreuther-festspiele.de. [[17]]
    [[18]] Schleef 1997, S. 50. [[18]]
    [[19]] Ebd., S. 74 u.266 f. [[19]]
    [[20]] Ebd., S. 74. [

  12. ebd., S. 169
  13. im Nebentext als plurale Figur gekennzeichnet: „Es kommt ein, es kommen vielleicht sogar mehrere Taucher aus dem Boden“. In: Jelinek 1998., S. 167.
  14. Berkéwicz 1999, S. 10. Von dieser Fassung abweichender Aufführungstext ist mit * gekennzeichnet.
  15. Ebd., S. 14.
  16. Ebd., S. 61.
  17. Wagner 1950, S. 61.
  18. Vgl. Wagner1984, S. 349.
  19. Wagner, Richard: „Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth“. Hier zitiert nach: http://www.bayreuther-festspiele.de.
  20. Schleef 1997, S. 50.
  21. Ebd., S. 74 u.266 f.
  22. Ebd., S. 74.
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