Poetologie | Verwandtschaften | „Komm auf den Händen zu uns.“ Über Meridiane zwischen Lenz und Celan

I Im Kopfgang

Komm auf den Händen zu uns.
Wer mit der Lampe allein ist,
hat nur die Hand, draus zu lesen.

Paul Celan: Stimmen[1]

Auf den Händen gehen, das heißt, die Welt und das Leben kopfüber zu durchwandern, heißt, die Perspektive zu stürzen, und zwar vertikal, da der Kopf näher an der Erde, der „Himmel als Abgrund unter sich“[2] liegt, und horizontal, da sich der Blick in der Wende auf den Handgang nach hinten verkehrt. Wer so geht, erdnah, an den Boden gekrallt mit den Händen, die Füße über dem Abgrund, immer, den Kopf gedreht nach hinten, der geht durch ein anderes Leben. Wer so spricht, der spricht eine andere Sprache. Wer so schreibt, schreibt anders, schreibt Anderes. Nichts weniger als diese Gangart sei es, die Dichtung von entfremdender „Nur-Kunst“ scheide; nichts weniger als diese grundlegende Wende, horizontal und vertikal, sei es, die ein Dichter zu vollziehen habe, um sich „Wirklichkeiten zu entwerfen“[3], so Paul Celan. Eine „Atemwende“ sei das, eine Sprache, fremder als die Kunst, deren Weg auf solche Art zurückzulegen sei.
Wenn nun einer so ginge, sein Leben lang, die Welt kopfüber durchwanderte, dann käme es selten, zu Lebzeiten wohl nie dazu, dass einer einem anderen begegnete, dem er voller Überraschung nicht bloß auf die Füße, sondern in die Augen sehen könnte: ein anderer auf den Kopf Gekehrter. Diese Begegnung muss für einen, der seit Jahren kopfübergeht, erschütternd sein, freudig vielleicht, da ein anderer sich findet, der ähnlich, dem es ähnlich geht.
Paul Celans Weg führte ihn im Frühling 1960 zu einem, der ebenfalls in die Kehre gegangen war: Jakob Michael Reinhold Lenz – der historische wie der Büchner’sche, dem es „manchmal unangenehm [war], daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte“[4] – zu steinig, zu schwer und wohl auch zu weit war der Weg durchs Gebirg am 20. Jänner. Diesen Weg ließ Celan seinen Juden Klein in der Erzählung Gespräch im Gebirg „wie Lenz“[5] gehen, durch Fels und Gestein.
Diese Betrachtungen unternehmen den Versuch, zu erfahren, ob es möglich sei, dass die poetologische Gestalt Jakob Michael Reinhold Lenz als eine Stimme aus einer anderen Zeit gar durch die Jahrhunderte gewandert sein könnte – durch Hütten und Paläste, durch den 20. Jänner 1942, bis ins Darmstadt des Jahres 1960, wo er sich in den gesprochenen Worten eines „Welt-Vertriebenen“[6] zu erkennen gab, der wie Lenz in gewisser Weise auf dem Kopf zu gehen versuchte in den Gedichten, die er schrieb, um sich „Wirklichkeit zu entwerfen“ – ausgehend von der Erkenntnis: „Wirklichkeit ist nicht, Wirklichkeit will gesucht und gewonnen sein“[7] – wozu ein Dichter vornehmlich die Dichtung bemüht.
Das lesende Auge kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie es dazu kommt, dass ein überlebender jüdischer Autor des 20. Jahrhunderts sich und seine Poetologie in einer nachweislich sorgfältig vorbereiteten Rede mit einem damals seit 168 Jahren verstorbenen Dichter verbindet und ihm die Schreibhand reicht. Denn das Verbindende der beiden Autoren ist nicht offensichtlich, weder biographisch, noch epochal, noch stilistisch, noch die Gattungen betreffend. Das Verbindende aber, was fraglos schnell aufscheint, ist die Neigung zum Abbruch, zum vorgeblich „Unvollständigen“, zum versehrten, geschnittenen und wunden Text, kurz: zum überraschenden Verstummen in Ellipsen, Versenden, im Weiß. J.M.R. Lenz und Paul Celan sind Autoren, deren komplexe literarische Verfahren sich mindestens in den folgenden Punkten treffen: Fragment, Perspektivierung, existentielle Gebundenheit der literarischen Arbeit. Diese drei Großkomplexe möchte der Essay betrachten und den Orten nachspüren, wo sich die Linien beider Autoren berühren, wo also aus bloßer Referenz oder Intertext eine Art Interpoetologie wird, eine literarische Koexistenz, eben dies: Ein Meridian im Sinne der poetologischen Grundlegungen Paul Celans.

II Daten

Celan hält 1960 vor der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung seine poetologische Rede Der Meridian als Dankesvortrag für den Erhalt des Georg-Büchner-Preises. Im Sprechen über Büchners Dramen und die Lenz-Novelle entzündet sich der Vortrag an der Idee, Dichtung und Kunst seien zwei gänzlich verschiedene Dinge, gar gegensätzlich – sie teilten sich allein die Wegstrecke, die beide gemeinsam zurücklegen. Die Dichtung aber, dort, wo sie wahr sei, lege den Weg auf die ihr und ihres Dichters eigene Weise zurück: die maßgeblichen Bestimmungen des Gedichtes heute lauten für Celan dialogisch, offen, besetzbar, gegenläufig, elliptisch. Die Dichtung, das sei ein individuiertes, dunkles „Gegenwort“, auch ein Gegenwort zur Kunst, geäußert von einem einzelnen Menschen mit einem einzelnen Schicksal, der „unter dem Neigungswinkel seines Daseins, dem Neigungswinkel seiner Kreatürlichkeit“[8] spreche – wissend um die Gegebenheiten und die Sterblichkeit des eigenen, einzelnen Lebens. Dieses Dichten findet Celan in der Existenz, im Schreiben und Leben von Jakob Michael Reinhold Lenz.

Hier aber muss man aufmerken: Wären nicht andere Lebensläufe, andere Zeugen und vielleicht Zeitgenossen naheliegender gewesen für einen Dichter, dessen Schicksal auf solche Weise im 20. Jahrhundert begründet liegt? Aber Lenz, vermittelt über Georg Büchner, den „Dichter der Kreatur“[9], geht – je nach Textfassung – am „20. Jänner durchs Gebirg“ und wünscht sich nichts sehnlicher, als den Weg auf dem Kopf zurückzulegen. Celans Gedichte sind mit diesem Tag vertraut: Der 20. Jänner, das „Datum“ auch seiner Dichtung, bezeichnet für ihn den Tag der Wannseekonferenz 1942. „Vielleicht darf man sagen, daß jedem Gedicht sein 20. Jänner eingeschrieben bleibt? […] Es bleibt seiner Daten eingedenk“.[10] Das ist ein Konstituens für die Poetologie Paul Celans: Das Gedicht ist kein Maschinenprodukt, es ist das eines Menschen, der unter dem Eindruck seiner Sterblichkeit und unter dem Nachdruck seiner „Daten“ – des ihm gegebenen „Schicksals“ und seiner „Richtung“[11] – lebt. Folglich kann für Celan der Mensch, der schreibt, nicht verkünstlicht werden: nicht als Figur einer Novelle (wie bei Büchner), nicht als vom Lebenslauf getrennte ‚Autorfigur‘ (die nur in ihren Dichtungen bestünde), und schon gar nicht als Phänotyp einer Epoche (wie etwa in der Poetologie Gottfried Benns, der Celan die seine in der Rede und in Notizen klar gegenüberstellt). Der Autor ist ein Mensch. Der Meridian ruft mehrmals eine Scheidung zwischen dem „historischen“ und dem „Büchner’schen“[12] Lenz auf, nur um zu dem Schluss zu kommen, dass, wo immer eine wahrhafte, ihrer „Daten eingedenk“ bleibende Dichtung erscheint, diese Unterscheidung hinfällig wird, sogar in der Vermittlung eines Dritten (hier: Büchner mit seiner Lenz-Novelle). Wo Dichtung nur Kunst sei, sei „selbstvergessen[e] Ich-Ferne“[13], dort seien der ‚Idealismus‘ und seine ‚Holzpuppen‘[14], Automaten und Marionetten[15] – ein Reich der Tropen, der Kunstgriffe, der Technik also. Wo Dichtung gesprochen werde, fernab des Kunstgriffs, dort sei „Gestalt“ und „zugleich auch Atem, das heißt Richtung und Schicksal.“[16]
Nichts anderes lässt Büchner seinen Lenz reflektieren, wenn dieser im sogenannten „Kunstgespräch“ äußert:

Die Dichter, von denen man sage, sie geben die Wirklichkeit, hätten auch keine Ahnung davon, doch seien sie immer noch erträglicher, als die, welche die Wirklichkeit verklären wollten. Er sagte: Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen, unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist’s gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist, das Gefühl, daß Was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen Beiden, und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen. […] Die Leute können auch keinen Hundsstall zeichnen. Da wolle man idealistische Gestalten, aber Alles, was ich davon gesehen, sind Holzpuppen. Dieser Idealismus ist die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur.[17]

Es scheint sinnhaft, Lenz und Celan in dieser Frage mit einander ins Gespräch zu bringen, die beide auf ihre je eigene Weise Lesern und Philologen die kühne Sicht zumuten, zwischen der Existenz des Autors und den Zeugnissen seiner Literatur sei nicht prinzipiell zu scheiden, beide seien vielmehr in einander zu überführen oder gar: Leben und Schreiben seien prinzipiell nicht zu trennen. Autor und Text seien also gegenseitiges Zeugnis des Gleichen, nämlich der Anwesenheit eines Einzelnen – der Existenz eines Menschen. Eine heute vermeintlich antiquierte Haltung, die mindestens uns Philologen als Anmaßung erscheinen muss, die wir seit der Ausdifferenzierung einer eher lockeren Spielart der Hermeneutik und dem Tod des Autors[18] ja nicht anders können, als über die Existenz des Autors hinwegzugehen, um einem Text als solchem entgegenzueilen, mit dem durchaus verständlichen Ziel, ihm als Literatur gerecht zu werden. Eine Wende also, wenn der Autor selbst seinen Text als Lebenstext, als existenzielle Wirklichkeit begreift und eben nicht als absolutes Spiel der Form. Celan wendet sich von dieser Haltung radikal ab: „Das absolute Gedicht – nein, das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!“[19] Und Lenz schreibt zu diesem Verhältnis beispielhaft: „Ich unterschreibe mich gern Linz oder Lunz nur damit man bey meinem Namen nichts als meine Person denkt und auf keine alberne Nebenbegriffe kommt.“[20] Judith Schäfer leitet in ihrer umfassenden Untersuchung zu dramaturgischer und poetologischer Anlage der Lenz’schen Dichtung daraus ab: „Sich selbst bezeichnet er als ‚kauderwelsche Gestalt‘. Und Kauderwelsch meint eine unverständliche Sprache. Lenz selbst führt in diesen Selbst(be)schreibungen Schreiben bzw. Sprechen und Leben in eins. […] Sich selbst schreiben, erfinden, heißt auch: sich selbst bestimmen, sich nicht festlegen lassen“.[21]

III Weltgerechtes Schreiben

Lenz gibt an mehreren Stellen Auskunft über seine Annahme einer grundlegenden perspektivischen Begrenzung bzw. Determination in der Wahrnehmung von Welt. Für einen Autor stellt diese Frage eine unausweichliche Schwierigkeit dar, ist sozusagen reflexive Grundbedingung des Schreibens. Lenz legt in seinen Anmerkungen übers Theater, speziell in seiner eigenwilligen Prüfung des aristotelischen Mimesis-Prinzips, dar, dass für einen Dichter besondere Maßstäbe in der Bewältigung der perspektivischen Anschauung der Welt angelegt werden müssen:

Wir nennen die Köpfe Genies, die alles, was ihnen vorkommt, gleich so durchdringen, durch und durch sehen, daß ihre Erkenntnis denselben Wert, Umfang, Klarheit hat, als ob sie durch Anschaun oder alle sieben Sinne zusammen wäre erworben worden. […] Diese Köpfe werden nun zwar vortreffliche Weltweise was weiß ich, Zergliederer, Kritiker – alle ers – auch vortreffliche Leser von Gedichten abgeben, allein es muß noch was dazukommen, eh sie selbst welche machen, versteh mich wohl, nicht nachmachen. […] Der wahre Dichter verbindet nicht in seiner Einbildungskraft, wie es ihm gefällt, was die Herren die schöne Natur zu nennen belieben, was aber mit ihrer Erlaubnis nichts als die verfehlte Natur ist. Er nimmt Standpunkt – und dann muß er so verbinden.[22]

Der Standpunkt eines Autors ist, wir sehen es, der eines Menschen, aber er ist der eines besonderen Menschen: Durch das dichterische Tun nimmt der Mensch einen anderen Standpunkt ein, wechselt die Perspektive auf die Daten der Welt, um von dort aus überhaupt dichten zu können. Er erschöpft sich nicht – wie der nicht-dichtende Mensch – in der reinen Anschauung, sondern im Schaffen einer anderen. Tun, nicht nachahmen. Eine weitere Stelle bei Lenz erregt diesbezüglich Aufmerksamkeit, von der aus Judith Schäfer Lenz’ zentrales poetologisches Verfahren zu bestimmen versucht: Am Rande eines Briefentwurfs vermerkt Lenz – wie nebenbei – den kleinen, gravierenden Satz: „Es ist alles in der Welt schraubenförmig u. wir sehen grade“[23]. Erkennt man dieser Notiz poetologische Kontexte zu, so müssen wir feststellen, dass Lenz hiermit in einer Zeit, in der es zumindest offiziell noch Universalgelehrte gegeben hat, einen grundlegenden Mangel in der Erkenntnisfähigkeit aller Bereiche vermerkt, und zwar als anthropologische und kosmologische Konstante. Für einen Autor, der ahnt, dass die Perspektive ihrem Angeschauten stets defizitär gegenübersteht, muss diese Weltsicht erschütternd sein. Diesem grundlegenden Mangel durch rechten Umgang beizukommen, mag damit die schwierigste Aufgabe sein, der sich ein Dichter gegenübersieht, vielleicht ist es seine eigentliche oder auch: seine einzige; von einem einzigen fixen Standpunkt aus jedenfalls ist Erkenntnis in einem solchen perspektivischen Missverhältnis nicht möglich.
Entsprechend fordern die Texte Lenz’ wie auch Celans, wie zu zeigen ist, tiefere, breitere, vertikale und horizontale Umblicke, vielleicht Kopfstände, vielleicht Kopfstandpunkte. Im bildenden, dichtenden Umgang mit Welt und Perspektive wird der Umgang mit Namen, Benennungen und Bestimmungen kein leichtfertiger sein. Und in einer derart stetig umgestürzten, sich und die Welt umorientierenden Sprache wird es nötig, unorthodoxe, wechselnde Namen zu finden für das Geschaute:

Mir scheinen in unserer Sprache noch unendlich viele Handlungen und Empfindungen unserer Seele namenlos, vielleicht weil wir bisher als geduldige Bewunderer alles Fremden uns mit auswärtigen Benennungen für einheimische Gefühle begnügt haben, die denn nicht anders als schielend ausgedruckt werden konnten.[24]

Der letzte Teilsatz bietet eine interessante Parallele: Es ist bei Lenz wie auch bei Celan eine besondere Ironie, dass sie gerade diejenigen stilistischen oder poetischen Eigenarten, die ihnen von Zeitgenossen zum Vorwurf gemacht werden, zum poetologischen Programm erheben. So verachtet Christoph Martin Wieland die Sprache Lenz’ mit der Begründung, sie sei „entweder ganz unverständlich“ oder sie gebe „nur verworrene, schwankende und schielende Vorstellungen“[25]. Wo für einen Stilisten wie Wieland das geradlinige, sortierte, direktive Schreiben steht, dort findet sich bei Lenz das Schielen auf die Welt – als Programm, nicht als Defizit. Auf die Sprache gebracht: Kauderwelsch ist eine Weltsprache; im rechten, rechtwinkligen Sprechen, in der Normsprache also, starren wir allzu gerade auf die Krümmungen, bemerken sie vielleicht nie, kommen ihnen sicherlich nicht bei. Nichts anderes als das finden wir bei Celan:

[Die Mehrdeutigkeit der Dichtung] trägt auch dem Umstand Rechnung, daß wir an jedem Ding Schliffflächen beobachten, die das Ding aus mehreren Sichtwinkeln zeigen, in mehreren ›Brechungen‹ und ›Zerlegungen‹, die keineswegs nur ›Schein‹ sind. Ich trachte sprachlich wenigstens Ausschnitte aus der Spektralanalyse der Dinge wiederzugeben, sie gleichzeitig in mehreren Aspekten und Durchdringungen mit anderen Dingen zu zeigen: mit nachbarlichen, nächstfolgenden, gegenteiligen. Weil ich leider außerstande bin, die Dinge allseitig zu zeigen. […] Ich versuche, Ihnen zu erklären, weshalb ich meine angebliche Abstraktheit und wirkliche Mehrdeutigkeit für Momente des Realismus halte …[26]

Die „Schliffflächen“ der Dinge, ihre spektrale Betrachtung in allen Brechungen, der analytische Blick auf ihre Beschaffenheit von der Oberfläche bis zum Kern, ihr Abglanz – das sind Hinweise auf eine gewissermaßen kristalline Sprache, um die Celan bemüht ist, eine Sprache also, die in ihren Brechungen, in ihren opaken Stellen, in ihren Härtegraden grundlegend polyperspektivisch angelegt ist. Nicht umsonst sammelt Celan in seinen Gedichten Unmengen geologischer und astronomischer Fachbegriffe an, benennt einen Gedichtband Atemkristall, bemüht sich im Spätwerk um eine „grauere Sprache“. Das Fragmentarische, auf das noch zurückzukommen ist, als Grundgeste der Celan-Dichtung übrigens findet sich in einem kleinen aphoristischen Selbstgespräch ebenfalls geologisch begründet, das im Übrigen der Lenz’schen Fragmentpraxis nicht unähnlich ist:

Mikrolithen sinds, Steinchen, kaum wahrnehmbar, winzige Einsprenglinge im dichten Tuff deiner Existenz – und nun versuchst du, wortarm und vielleicht schon unwiderruflich zum Schweigen verurteilt, sie zusammenzulesen zu Kristallen? Auf Nachschübe scheinst du zu warten – woher sollen die kommen, sag?[27]

Selbst die kleinsten Geologien, die fragmentierten Teilchen, Staubkörner bergen in sich ein tektonisches Erbe, Zusammenhänge mit ihren Herkünften, Ursachen und Muttermaterialien. Die kabbalistische Annahme lose versprengter Gottesfunken im Schöpfungsgut klingt hier vermutlich nicht zufällig an.
Bezogen auf das Umherschweifende, programmatisch abbrechende, perspektivisch wechselhafte Schreiben Lenz’ findet Judith Schäfer ein Bild als Modell für die Anlage seiner Dichtung, das auch für Celans „Spektralanalysen“ treffend wäre:

Zudem sei hier an das Spiel des Oktaskops erinnert, das geeignet ist, übergangslos die Verschiebung, Verfremdung und Wechsel von Ausschnitten der Wirklichkeit zu erzeugen, welche der Text mit seiner Komposition willkürlich erscheinender Ausschnitte aus unterschiedlichen Wirklichkeiten erreicht.[28]

Und mehr noch:

Durch die Spiegelung des Original‚bildes‘ und die Spiegelung wiederum der Spiegelbilder entsteht ein sternförmiges Gebilde aus kopfüber [!, Anm. PhB] zueinander stehenden […] ‚gleichen‘ Bildern.
Der Betrachter verfügt auf diese Weise über die Möglichkeit, ständig seine ‚Perspektive‘ zu ändern (ohne unbedingt seinen Betrachterstandpunkt ändern zu müssen).[29]

Das Oktaskop bricht die Welt bei der Anschauung in flexible, kristalline Teilchen, unstet, nicht fixierbar, stets im Wandel zeigen sie sich, geben also mit jeder Anschauung einen neuen Blick frei auf die Wirklichkeit, die sich so mit jedem Blick als eine andere zeigen muss. Der Standpunkt entscheidet hier nicht über die Anordnung der Teile, nur darüber, wie die steten Wandlungen registriert werden. Auch Celan verfasst seine Strategien einer weltgerechten Sprache häufig in optischen bzw. physikalischen Bildern:

Das Zeichnerische liegt mir näher, nur schattiere ich mehr als Gisèle, ich verschatte absichtlich manche Kontur, um der Wahrheit der Nuance willen, getreu meinem Seelenrealismus. […] Sie kennen doch auch die Erscheinung der Interferenz, Einwirkung zusammentreffender kohärenter Wellen aufeinander. Sie wissen Bescheid über das dialektische Übergehen und Umschlagen – die Wandlung ins Benachbarte, ins Nächstfolgende, ja oft ins Gegenteilige.[30]

Eine derart beschaffene Dichtung, interferent, offen, aufnahmefähig, glaubt nicht an eine finale Erkenntnis durch eine normierte, codierte Sprache; ihr Standpunkt ist geknüpft an die Perspektive, und das „Verbindenmüssen“ ihres Dichters muss notgedrungen mit ihr wechseln, er muss „schielen“ wie Lenz, „verschatten“ wie Celan – all das mit einem Standpunkt, dem eigenen, einmaligen Standpunkt. Vielleicht auch noch kopfüber.

IV Hinter den Tropen

Lenz und Celan, die sich beide auch in ihren literarischen Texten im- und explizit poetologisch äußern, stellen auf ihre je eigene Weise die Leserschaft vor besondere heuristische Herausforderungen. Diese bestehen bei beiden insbesondere darin, hinter die Form zu gelangen, die opake Struktur der Literaturen zu durchdringen und dabei eine gewisse ‚Dunkelheit‘ zu dulden, die beide explizit zum Programm haben: Bei Lenz z.B. finden wir den gattungsüberschreitenden Text Über Delikatesse der Empfindung (um 1789), untertitelt als „Schutzschrift für die Liebhaber der Tropen […]“. Der Meta-Kommentar des Untertitels erhebt die tropische Sprachstruktur zu einem impliziten Inhalt des literarischen Textes und gibt damit Einblick in seine programmatische Anlage, wie Heribert Tommek aufzeigt:

Wie die ‚rotwelsche‘, hermetische Sprache […], so ist auch die Sprache der schnellen Übergänge, der dunklen Anspielungen und der volkstümlichen Einsprengsel […] in der Delikatesse als bewußt eingesetztes Stilmittel […], als abwehrendes, ‚homöopathisches Gift‘ angesichts einer tagtäglich entleerten Sprache zu verstehen. Sie ist Ausdruck sowohl einer Verweigerung (des direkten ‚Verstehens‘ und der direkten, ‚positiven‘ moralischen Hilfeleistung, die Lenz für den Dichter in der Nachfolge der negativen Gesetzgebung Gottes ablehnt) als auch einer Verteidigung des ‚göttlichen Menschengeschlechts‘, die angesichts der fortgeschrittenen Krisengeschichte der menschlichen Zivilisation nur in Form der Verkehrung selbst, d.h. in der Sprache des Narren sich äußern kann […].[31]

Judith Schäfer deutet die opake Sprache des Delikatesse-Textes weitergehend:

Durch Wortspiele und Wortverdrehungen werden falsche Wahrheiten erzeugt. Zudem sind die Assoziationen und Bedeutungssprünge so dicht aneinandergereiht, dass der Eindruck eines hohen Tempos entsteht, mit dem der klärende Verstand nicht mithalten kann. Auf diese Weise erzeugt der Text ein Bewusstsein über solche Täuschungsverfahren, die in der Sprache angelegt sind, um letztlich eine gegenteilige Wirkung, nämlich eine selbstbestimmte Aufklärung einzufordern. Der verdeckende, verdunkelnde Umgang mit Worten ist also gewollt.[32]

Paul Celan spricht wiederholt von dieser Verdunkelung. Im Meridian gibt es eine Stelle, an der die Programmatik oder gar Grundbedingung der Dunkelheit seiner Dichtung auf den Punkt gebracht wird:

Meine Damen und Herren, es ist heute gang und gäbe, der Dichtung ihre ‚Dunkelheit‘ vorzuwerfen. – Erlauben Sie mir, an dieser Stelle unvermittelt – aber hat sich hier nicht jäh etwas aufgetan? –, erlauben Sie mir, hier ein Wort von Pascal zu zitieren […]: ‚Ne nous reprochez pas le manque de clarté puisque nous en faison profession!‘ – Das ist, glaube ich, wenn nicht die kongenitale, so doch wohl die der Dichtung um einer Begegnung willen aus einer – vielleicht selbstentworfenen – Ferne oder Fremde zugeordnete Dunkelheit.[33]

Wo Lenz verdunkelnde Wendungen und Strukturen nutzt, um ein Bewusstsein für die Strukturen literarischer Rede zu evozieren, paradoxerweise also, um aufzuklären, verdunkelt Celan „um einer Begegnung willen“ und (s.o.) „getreu [s]einem Seelenrealismus“. Wo die Dichtung dunkler ist, ist ein Entgegenkommen des Anderen, des Fremden möglich, der mit seiner Person nicht an einer Eindeutigkeit und Monovalenz der Sprache abperlt. Das Gedicht wird „besetzbar“, „es spricht immer nur in seiner eigenen, allereigensten Sache“ und „gerade auf diese Weise auch in fremder […], in eines Anderen Sache“.[34]
Beide Dichter beziehen also konstitutive Gründe für ein Sprechen in dunkleren Registern auf das Vorhandensein eines Lesers, eines Dialogpartners, um den es in den Gedichten auch geht, dem Zugang gewährt wird, der einzubeziehen ist bis in die Grammatik hinein. Celan gab eine scharfe Verkürzung eines solchen gelungenen Leseaktes als Antwort auf Israel Chalfens Bitte um eine Gedichtinterpretation: „Lesen Sie, immerzu nur lesen, das Verständnis folgt von selbst!“[35]
Die Dichtungstheorie Celans schöpft tief aus der Dialogphilosophie Martin Bubers. Dichtung ist für ihn prinzipiell dialogisch, also kein sprachlich abgedichtetes Gebilde ohne Herkunft und Richtung und Zeitbezug. Dem Gedicht ist sein Autor eingefügt: „Wer es schreibt, bleibt ihm mitgegeben.“[36] Es ist gebunden an dessen Existenz, an sein Existierthaben, an seine Wirklichkeit, wenn es auch immer eine gewisse Offenheit behält – die Öffnung, das „Besetzbare“ des Gedichtes ist eine Art Andockstelle für den unbekannten Adressaten:

Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiß nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht. Gedichte sind auch in dieser Weise unterwegs: sie halten auf etwas zu.[37]

Viele mindestens der zeitgenössischen Leser Celans und Lenz’ eint ein grundlegendes Missverständnis ihrer Ansätze: verschieden formulierte Vorwürfe lauten für beide, sie sprächen in einem nicht zu dechiffrierenden Code, der Einbezug eines Dialogpartners sei also gestört, d.h. sie sprächen in einer uneigentlichen, nur diffus gerichteten Sprache, hermetisch, dunkel, gar wirr (wobei sich entsprechende Exegeten stets einer biographisch-pathologischen Untermauerung dieser These versicherten und heute noch versichern). Lenz, der sich entsprechend eine „kauderwelsche Gestalt“ nennt, und Celan, der sich „zur Dunkelheit alles Dichterischen“ bekennt, beide also sind vereint in der besonderen Pointe, dass sie lediglich den normativ zugelassenen Code lyrischen Sprechens verlassen haben, dass sie also gerade nicht verschlüsseln und gerade deshalb nicht verstanden werden. Die Bilder sind bei ihnen keine Bilder, sie sind phänomenale sprachliche Wirklichkeit. Der schwierigste Code ist der, der (unbemerkt) keiner ist. Celan: „Wer das Gedicht aufsucht, um nach Metaphern zu schnüffeln, wird immer nur – Metaphern finden.“[38] Und weiter: „Wer das Gedicht nicht mittragen will, überträgt und spricht von Metaphern. So wie der, der vom Gedicht nichts wissen will, von der Kunst und vom Können redet.“[39]
Das Offensichtlichste am Gedicht ist aber phänomenal seine Sprache – die vorhandene und in ihm aufgehobene. Die vereinbarte Konvention des Gedichts für ihre jeweiligen Kritiker ist, dass es codiert sei – eine Lektüre- und Sinnbildungskonvention, die beide Autoren durchbrochen haben, durch die einfache Tatsache, dass das, was in ihren Dichtungen auf den Weg gebracht ist, kein Sprachspiel, kein Formspiel, kein Code und kein Bild ist, sondern ihre Formen und Bilder das Gedicht selbst sind.[40]
Zur Form, d.h. zur Technik des Gedichts vermerkt Celan in einem Brief ein dialektisches Verhältnis:

Gewiß, es gibt auch das, was man heute so gern und so unbekümmert als Handwerk bezeichnet. Aber […] Handwerk ist, wie Sauberkeit überhaupt, Voraussetzung aller Dichtung. […] Man komme uns hier nicht mit ‚poiein‘ und dergleichen. […] Ich habe es vor Jahren eine Zeitlang mit ansehen und später aus einiger Entfernung genau beobachten können, wie das ‚Machen‘ über die Mache allmählich zur Machenschaft wird.[41]

Damit erhebt (oder erniedrigt?) Celan die Form zur selbstverständlichen und d.h. nicht hauptsächlichen, nicht nebensächlichen, sondern ursächlichen Arbeit an der Sprache, die durch die Dichtung allerdings transgrediert werden muss. Abgestoßen von der z.B. in der Konkreten Poesie praktizierten Romantisierung der Methode bis zum Fetisch spricht er sich dezidiert gegen eine Poetologie aus, die die Form zum eigentlichen Inhalt erklärt.[42]

V Der Meridian

Ich suche die Gegend, aus der Reinhold Lenz und Karl Emil Franzos, die mir auf dem Weg hierher und bei Georg Büchner Begegneten, kommen. Ich suche auch, denn ich bin ja wieder da, wo ich begonnen habe, den Ort meiner eigenen Herkunft. Ich suche das alles mit wohl sehr ungenauem, weil unruhigem Finger auf der Landkarte – auf einer Kinder-Landkarte, wie ich gleich gestehen muß. Keiner dieser Orte ist zu finden, es gibt sie nicht, aber ich weiß, wo es sie, zumal jetzt, geben müßte, und … ich finde etwas!
[…] Ich finde das Verbindende und wie das Gedicht zur Begegnung Führende. Ich finde etwas – wie die Sprache – Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei – heitererweise – sogar die Tropen Durchkreuzendes –: ich finde … einen Meridian.[43]

So endet Celan mit dem inhaltlichen Teil des Meridian. In diesen Sätzen liegen wesentliche Verwandtschaftserklärungen mit Lenz begründet. Uns begegnet hier eine Verbindung der Topoi Lenz’ und Celans: Die Orte, an denen sie sich jeweils befinden, sind Utopien, sie sind nicht (mehr) aufzufinden. Im poetischen Sprechen und im Sprechen der Rede ist es dennoch möglich, sie auszumachen, mithilfe der von Celan zurate gezogenen „Kinder-Landkarte“, auf der sich die Entfernung oder die Nähe der Orte, Dinge und Menschen allein einem Maßstab der Sympathien, der Ähnlichkeiten, der Beziehungen beugen. Sind diese Orte auch in der Wirklichkeit nicht zu finden (168 Jahre liegen im Weg), so ist doch eine Verbindung möglich.
Lenz schreibt in einer Rede zur Entwicklung der deutschen Sprache sinnbildlich: „[…] unsere Sprache wie ein Baum der seine Wurzeln im ganzen Vaterlande ausgebreitet hat, und von allen Orten her gleichmäßigen Zufluß der Säfte empfängt […]“[44] – Meridiane, energetische Linien, Netze auch hier, auch wenn die Rede sich vornehmlich um die nationalpolitische Dimension der Sprache bemüht – sie lässt sich verstehen als Plädoyer für dialogische Offenheit, Diffusion durch die Ländergrenzen hinweg – über die historischen Grenzen ließe sich dabei nachdenken.
Celan findet Lenz’ Flaschenpost, tritt in Dialog mit seiner Literatur und seiner Biographie, verhandelt Ähnlichkeiten und entscheidet, sich zu verknüpfen. Was er findet, ist also kein Ort mehr, sondern sind Punkte auf einer Linie, die die Linie seiner Dichtung ist, die um den Globus verläuft und dabei die Tropen durchkreuzt. Das heißt für Celan und für diese Betrachtungen, dass das Existenzielle des Meridians zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Zeit die Kunstfertigkeit, die Formspiele, die Macharten der Gedichte übertrumpft, überlebt, sie aus der Dichtung vertreibt zugunsten ihres Zeugnisses.
Celans Gespräch im Gebirg entspricht in vielem Lenz’ Gesprächen im Elsass. Die existenziellen Gründe zur Verbindung zwischen Lenz und Celan mögen sein, was und wie beide gedichtet haben, und vor allem unter welchen Daten:

Der 20. Jänner markiert im ›Meridian‹ das Datum der Wannsee-Konferenz, auf der die Judenvernichtung beschlossen wurde. Er herrscht Übereinstimmung darüber, daß sich dasselbe Datum in der von Celan zitierten Erzählung Büchners über den Dichter Lenz findet. Er hat in diesem Zusammenhang einen ›Meridian‹ erkannt, eine wesentliche Verbindung trat in der Präfiguration zutage: sie hat es Celan ermöglicht, sich in Lenz’ Schicksal zu spiegeln.[45]

Ich schlage zum Ende einen Begriff vor für die Art, wie Celans und Lenz’ Dichtungen in ihre „Daten“, in das Zeitgeschehen, in die Welt eingewoben sind und umgekehrt. Viel ist von der Existenz gesprochen worden, von Dialog und von verdunkelter Sprache, explizit nur wenig über gesellschaftliche oder politische Dimensionen dieser Dichtungen, da beide Bezirke womöglich Teil der „Daten“ sind, derer die Gedichte „eingedenk“ bleiben. Bei Lenz und Celan von engagierten Dichtern zu sprechen im Sinne einer Littérature engagée wäre falsch; von weltabgewandten Artisten auszugehen, die im Sinne einer absoluten Kunst Poésie pure betrieben, ebenso; dies war unter anderem zu zeigen. Ich schlage einen Begriff vor, der vielleicht beiden gerecht werden kann: Involvierte Literatur.
„Denn das Gedicht ist nicht zeitlos. Gewiß, es erhebt einen Unendlichkeitsanspruch, es sucht, durch die Zeit hindurchzugreifen – durch sie hindurch, nicht über sie hinweg.“[46]
Das Gedicht aktualisiert sich als Sprache, als Gespräch im Fremden, im Anderen und legt Zeugnis ab. So verbunden kann durch auch topographische Fernen gesprochen werden und durch die Jahrhunderte, telephonisch und chronophonisch. Vielleicht, so kann man denken, ist Lenz für Celan als jemand unter gleichen Daten ein Gesprächspartner aus dem Off der Geschichte, der literarischen wie der individualen, der Historie und der Existenz: Lenz „ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr in sein Immer-noch zurück.“[47] Wer schenkte ihm Gehör? Büchner, Celan und ja, auch andere. Erstgenannte gaben und geben Antwort, und zwar ebenso „schon nicht mehr und immer noch“.

  1. Celan, Paul: „Stimmen“, aus: Sprachgitter, in: Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Hg. u. komm. v. Barbara Wiedemann. Frankfurt am Main 2005, S. 91.
  2. Celan, Paul: „Der Meridian. Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises“, in: Böschenstein, Bernhard/Schmull, Heino (Hg.): Paul Celan. Werke. Tübinger Ausgabe: Der Meridian. Endfassung – Entwürfe – Materialien. Frankfurt am Main 1999. S. 7, Abschnitt 26 b [im Folgenden: TCA M].
  3. Celan, Paul: „Ansprache anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen“, in: Allemann, Beda/Reichert, Stefan/Bücher, Rolf (Hg.): Paul Celan. Gesammelte Werke in sieben Bänden. Dritter Band: Der Sand aus den Urnen, Zeitgehöft, Verstreute Gedichte, Prosa, Reden. Frankfurt am Main 2000, S. 186 [im Folgenden: GW].
  4. Büchner, Georg: Lenz. Berlin 1983, S. 5. (Der Text folgt: Büchner, Georg: Sämtliche Werke und Briefe. Erster Band. Historisch-kritische Ausgabe mit Kommentar, herausgegeben von Werner R. Lehmann. München 1947.
  5. Celan, Paul: Gespräch im Gebirg. Mit einem Kommentar von Theo Buck. Aachen 2002, S. 7.
  6. Siehe die Notiz: „Der Verband der Heimatvertriebenen. – Der Verband der Weltvertriebenen wäre ja wohl noch ins Leben zu rufen.“ In: Celan, Paul: „Mikrolithen sinds, Steinchen.“ Die Prosa aus dem Nachlaß. Kritische Ausgabe. Hg. u. komm. v. Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou. Frankfurt am Main 2005, S. 43.
  7. Celan, Paul: „Antwort auf eine Umfrage der Librairie Flinker, Paris (1958)“, in: GW 3, S. 167.
  8. Celan: TCA M, S. 9, Abschnitt 33 c.
  9. Ebd., S. 5, Abschnitt 19.
  10. Ebd., S. 8, Abschnitt 30a/31a.
  11. Beide Begriffe verwendet Celan im Meridian wie auch in anderen poetologischen Äußerungen wiederholt.
  12. Z. B.: Celan, TCA M, S. 5, Abschnitt 17 b. Gegensätzlich dazu: ebd., S. 7, Abschnitt 24 e-f.
  13. Ebd., S. 6, Abschnitt 20 d.
  14. Ebd., S. 4, Abschnitt 14 c.
  15. Vgl. z.B. ebd., S. 2, Abschnitt 1 a und 3 a.
  16. Ebd., S. 3, Abschnitt 5 b.
  17. Büchner, Georg: Lenz. Berlin 1983. S. 31 f.
  18. Eine literaturtheoretische Abwendung von der Autorperson unter dem Schlagwort vom „Tod des Autors“ (Roland Barthes, Michel Foucault) müsste gerade Celan, dem Überlebenden, als Ermordung vorkommen, da sie – institutionalisiert – gestattet, über die realen Toten seiner Gedichte recht leichtfüßig hinwegzutreten.
  19. Celan, Paul: TCA M, S. 10, Abschnitt 38 b, c.
  20. Lenz, Jacob Michael Reinhold: Brief an Burner in Moskau, in: Ders.: Moskauer Schriften und Briefe. Hg. u. komm. v. Heribert Tommek. Berlin 2007, Textband S. 50.
  21. Schäfer, Judith: »… da aber die Welt keine Brücken hat …«: Dramaturgien des Fragmentarischen bei Jakob Michael Reinhold Lenz. Paderborn 2016, S. 20.
  22. Lenz, Jakob Michael Reinhold: „Anmerkungen übers Theater“, in: WuBr 2, S. 641-671, hier S. 648.
  23. Zit. n. Schäfer, S. 15.
  24. Lenz, Jakob Michael Reinhold: „Über die Bearbeitung der deutschen Sprache im Elsass, Breisgau und den benachbarten Gegenden“, in: WuBr 2, S. 770-777, hier S. 773. Anmerkung: In diesem Text geht es um den Vergleich der deutschen mit der französischen Sprache, also nicht um eine generelle Sprachskepsis, die Lenz jedoch in dramatischer Praxis und Briefen wiederholt zum Ausdruck bringt. Dem hier zitierten Teil kann poetologische Qualität daher dennoch vorsichtig beigemessen werden.
  25. Zit. n. Schäfer, S. 65.
  26. Huppert, Hugo: Sinnen und Trachten. Anmerkungen zur Poetologie. Halle an der Saale 1973, S. 32. Huppert rekonstruiert an dieser Stelle ein Gespräch mit Paul Celan vom 26. Dezember 1966, geführt in dessen Wohnung (78 Rue de Longchamp, Paris) und stenographisch festgehalten unmittelbar danach.
  27. Celan: „Mikrolithen sinds, Steinchen.“, S. 74.
  28. Schäfer, S. 181.
  29. Ebd., S. 53
  30. Äußerung Celans im Gespräch, Huppert: Sinnen und Trachten, S. 32. – Anmerkung zu „Gisèle“: Gisèle Celan-Lestrange, Celans Ehefrau, die für ihre abstrakten Radierungen als Künstlerin bekannt wurde und mit der Celan mehrfach zusammenarbeitete.
  31. Tommek, Heribert: Kommentar zu Ueber Delikatesse der Empfindung, in: Lenz: Moskauer Schriften und Briefe, Kommentarband, S. 374.
  32. Schäfer, S. 181.
  33. Celan: TCA M, S. 7, Abschnitt 27. Sinngem. Übersetzung: „Werfen Sie uns nicht einen Mangel an Helligkeit vor, da wir ihn öffentlich bekennen!“ [Übers. PhB].
  34. Celan, TCA M, S. 8, Abschnitt 31 a, 31 b.
  35. Chalfen, Israel: Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend. Frankfurt am Main 1983, S. 7.
  36. Celan, TCA M, S. 9, Abschnitt 34 a.
  37. Celan, Paul: „Ansprache anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen“, in: GW 3, S. 186. Diese kühnen Überlegungen sind orientiert an einem anderen Dichter, der ohne Zweifel auf der Achse zwischen Lenz und Celan liegt: Osip Mandel’štam, den Celan vielfach übersetzt und über den er eine Rundfunksendung verfasst hat, schreibt 1913 über den kommunikativen und zeugnishaftenAdressierungscharakter der Dichtung:Der Seemann wirft im kritischen Moment eine versiegelte Flasche ins Wasser des Ozeans, welche seinen Namen enthält und die Aufzeichnung seines Schicksals. Nach langen Jahren, auf der Dünenwanderung finde ich sie im Sand; ich lese den Brief und kenne jetzt den letzten Willen des Verlorenen und den Zeitpunkt des Geschehens. Ich hatte ein Recht dazu, so zu handeln. Ich habe keinen fremden Brief geöffnet. Der Brief, den die Flasche in sich barg, war an den adressiert, der sie findet. Ich habe sie gefunden. Das heißt: ich bin auch der geheimnisvoll-verborgene Adressat.Mandel’štam, Osip Ėmil’evič: „O sobesednike (1913)/Vom Gegenüber“. Übersetzt von Dierk Rodewald, in: Ars Poetica. Texte von Dichtern des 20. Jahrhunderts zur Poetik. Herausgegeben von Beda Allemann. Darmstadt 1966, S. 45-52, hier S. 47. Rezeptionspolitisch relevant an Ars Poetica, einem Sammelband poetologischer Positionen, die auch Celan abdruckt, ist der Sachverhalt, dass Celans „Meridian“ hier auf zwei Seiten zusammengekürzt bis zur Unverständlichkeit erscheint.
  38. Celan, TCA M, S. 157.
  39. Ebd., S. 158. Glättungen von Vorstufen/Variationen des Satzes zur besseren Lesbarkeit von PhB.]
  40. Celan spricht in den Vorstufen des Meridian wiederholt von der Dunkelheit des Dichterischen als „kongenitaler Dunkelheit“.
  41. Celan: Brief an Hans Bender, in: GW 3, S. 167.
  42. Ähnliches findet sich z.B. bei Stéphane Mallarmé, Gottfried Benn, Emil Staiger, Ernst Jandl, Eugen Gomringer und bei vielen anderen.
  43. Celan, TCA M, S. 12, Abschnitt 49 b-50 c. Zeichensetzung, Kursiva und Auslassungszeichen im Original.
  44. Lenz: „Über die Bearbeitung der deutschen Sprache“, in: WuBr 2, S. 774.
  45. Bollack, Jean: Paul Celan. Poetik der Fremdheit. Wien 2000, S. 212.
  46. Celan: „Ansprache anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises“, in: GW 3, S. 186. Hier könnte man erneut mit Lenz vergleichen: Lenz übersendet Johann Gottfreid Herder am 23. Julius 1775 sein Stück Die Soldaten mit dem Kommentar: „Hier, Hierophant! in Deinen heiligen Händen das Stück, das mein halbes Dasein mitnimmt. Es ist wahr und wird wahr bleiben, mögen auch Jahrhunderte über meinen armen Schädel verachtungsvoll fortschreiten. Amen.“ In: WuBr 3, S. 329.
  47. Celan, TCA M, S. 8, Abschnitt 32 b.
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